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Ekkehard Friebe Ekkehard Friebe ist männlich
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Zur Sozialpsychologie naturwissenschaftlicher Theorien Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       IP Information Zum Anfang der Seite springen

Folgendes, sehr aufschlussreiches Zitat ist entnommen aus Dietrich Oswald (Dipl.-math.): ?Die neue Relativit?t?, in Graue Reihe Heft 3, 1978.


Zitat:


Zur Sozialpsychologie naturwissenschaftlicher Theorien

?ber die Bildung und Abl?sung physikalischer Theorien nach dem Prinzip der Theorienverdr?ngung hat Thomas S. K?hn vollinhaltlich zutreffende Ausf?hrungen gebracht, nachzulesen zum Beispiel bei Wolfgang Stegm?ller, Hauptstr?mungen der Gegenwartsphilosophie Band 2, Stuttgart 1976.

Nur ein Punkt soll hier noch betont werden:
Eine Theorie naturwissenschaftlichen Inhalts bewirkt immer auch eine soziale Hierarchie, eine bestimmte Macht- und Ansehensstruktur im Bereich der fachlichen Insider. Diese wird ganz unabh?ngig vom Wahrheitsgehalt der Theorie wirksam, wenn die Theorie von der Mehrheit dieser Insider akzeptiert wird. F?r den au?enstehenden Beobachter ist die Richtigkeit der Theorie sogar nur an Ansehen, Einflu? und Position ihrer Vertreter erkennbar.

Besetzung von Lehrst?hlen, von Redaktionen der Fachbl?tter, die Bestellung in den Staatsdienst, Vergabe von Preisen und Titeln und die Verteilung der Finanzmittel sind abh?ngig vom Grade der Reproduktion dieser bestehenden Sozialstruktur und erst in zweiter Linie vom eigentlichen Inhalt einer bestimmten fachlichen Meinung.

Selbst?ndige, nicht am Ziel der Stabilisierung bisher ?blicher Theoriekerne und damit verbundener Pfr?nden orientierte Aussagen sind damit eine Gefahr f?r all diejenigen, die aufgrund ?lterer Ansichten bevorzugte Stellen im Macht- und Ansehenskegel besetzen. Somit ist der Wahrheitsgehalt unserer naturwissenschaftlichen Theorien zu einem Wert- und Erfolgsmesser im Hackordnungskleinkrieg des fachlichen H?hnerhofes degradiert worden, um es in pointiertem Psychologendeutsch zu sagen.

Eine als modern und tiefsinnig geltende Theorie zu vertreten, hat damit den gleichen Ausdruckswert der Selbstdarstellung, wie etwa das Fahren einer bestimmten Automarke. Es ist Prestigesymbol und Symbol der Zugeh?rigkeit zur Zone anerkannter Wissenschaft. Selbst grunds?tzliche Fehler werden daf?r in Kauf genommen und dies ist sehr verst?ndlich. Denn die blo?e, intellektuell festgestellte ?Falschheit? einer Aussage entwickelt niemals die psychodynamische Kraft, wie eine Umwertung des eigenen Selbstbildes von dem der f?hrenden Avantgarde zu dem des in veralteten Ansichten befangenen Irrenden.

Durch alle wohl abgewogene Konformit?t mit dem Anerkannten und Bew?hrten hindurch zeigt sich hierin eine intellektuelle Spielart ungebrochenen Diktatorengr??enwahns, der jede Korrektur am bestehenden ?Erkenntnisstand? oder ?Wissenskanon? als einen Umsturz im Weltbild der Physik erscheinen l??t.

Dem von dieser sozialen Folgestruktur und ihren m?glichen Umschichtungen nicht pers?nlich Betroffenen erscheint es dagegen ganz normal und historisch von jeher ?blich, da? Theorien kommen und gehen, und ihre Bef?rworter mit ihnen. Da der Kreis dieser nicht pers?nlich Gef?hrdeten von der Verdr?ngung einer bestehenden Theorie durch eine andere keine Nachteile zu erwarten hat, kommt gerade aus dem Kreis der ?Outsider? die ?berwiegende Zahl der grunds?tzlich neuen Ideen.

Damit soll nicht gesagt sein, da? bislang ?f?hrende Fachleute? keine neuen Ideen haben. Aber sie sehen deutlicher die Gefahren eines Neuansatzes f?r die Fachrichtung, wobei sie fachliche Aussage und sozialpsychologische Folgewirkung nicht hinreichend unterscheiden. Eine neue Ansicht ist nat?rlich regelm??ig zun?chst auch tats?chlich weniger gesichert als die alte, an der schon Generationen gearbeitet haben. Diese Arbeit ist f?r einen Neuansatz erst noch zu leisten.

Auch das wertende Geschichtsbild der Fachrichtung erscheint bedroht, ebenso die Selbstdarstellung gegen?ber Ministerialdirektoren, die ?ffentliche Forschungsmittel vergeben. Denn im Gefolge einer grundlegenden Theorie?nderung mu? unweigerlich auch eine historische Neubewertung der bisherigen Ansichten und ihrer Vertreter einhergehen, ebenso eine andere Priorit?tenverteilung bei der Mittelvergabe. Unangenehme Einsichten in den Wert oder Unwert bisheriger Investitionen bleiben nicht aus. Sprachregelungen m?ssen getroffen und Entschuldigungen m?ssen gefunden werden. All dies verhindert der Tendenz nach die Publikation krasser Neuerungen.

Hier aber erscheint es sinnvoll, den kaufm?nnischen Tipp zu befolgen, da? der erste Verlust der beste ist, und ein Ende mit Schrecken einem Schrecken ohne Ende vorzuziehen. Andernfalls ger?t trotz aller Mathematisierung eine Fachrichtung wie die theoretische Physik in einen circulus vitiosus der stetig weiteren Entfernung von der Realit?t der Natur, die schlie?lich sogar Philosophen und Mathematikern eher auff?llt, als den eigentlich zust?ndigen Fachleuten. Sie wird dann zu einem hochgez?chteten ?Glasperlenspiel? eines esoterischen Zirkels im Elfenbeinturm, der ab und an eine neue Weltformel pr?sentiert und damit ein ebenso wohlwollendes wie verst?ndnisloses Kopfnicken der ?ffentlichen Meinung hervorruft.

Das wird gerne ?bersehen bei allem Gejammer ?ber die Abwertung der Physik als Schulfach. Die Neigung aber, den Dorn im Auge der anderen viel deutlicher zu sehen, als den Balken im eigenen Auge, ist seit biblischen Zeiten wohlbekannt. Zugestanden sei, da? davon wohl niemand ganz frei ist.

(Zitatende)




Beste Gr??e Ekkehard Friebe

22.09.2007 12:46 Ekkehard Friebe ist offline Email an Ekkehard Friebe senden Homepage von Ekkehard Friebe Beiträge von Ekkehard Friebe suchen Nehmen Sie Ekkehard Friebe in Ihre Freundesliste auf
 
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