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Ekkehard Friebe Ekkehard Friebe ist männlich
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Re: Popper / Lorenz: ,,Die Zukunft ist offen?? Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       IP Information Zum Anfang der Seite springen

40. Fortsetzung zu:

Karl R. Popper / Konrad Lorenz: ?Die Zukunft ist offen?
Das Altenberger Gespr?ch. Mit den Texten des Wiener Popper-Symposiums
Herausgegeben von Franz Kreuzer

Verlag Piper, M?nchen / Z?rich, 2. Auflage, April 1985
ISBN 3-492-00640-X (Serie Piper Band 340)


Nachstehend bringe ich aus dem oben genannten Buch den Abschnitt:
?Auch ?rzte m?ssen irren d?rfen? von den Seiten 118 bis 123:




Zitat:


3. Tag:
Die offene Gesellschaft
(Karl R. Popper, W.W. Bartley III, Gerard Radnitzky, Ivan Slade, Alexandre Petrovic, Peter Michael Lingens, Norbert Leser)
[ . . . . . . . . . . . . . . . .]



Auch ?rzte m?ssen irren d?rfen

Petrovic: Ich bin heute morgen nicht als Forscher, sondern als Forschungsdirektor eingeladen, als verantwortliches Mitglied einer beruflichen Gemeinschaft, die sich um die gesellschaftlichen Aspekte der Medizin k?mmert. Sir Karl Popper hat mich gebeten, vor allem meine beruflichen Erfahrungen in der medizinischen Organisation und in der medizinischen Forschung in den Vordergrund zu stellen.

Ich beginne mit meinem schwersten Problem: Wie soll man dem Kranken am Ende seines Lebens sterben helfen? Das ist f?r den Arzt eine schwere Aufgabe. F?r mich selbst war es noch schwieriger, weil meine Kranken oft junge Leute mit prim?rem Knochenkrebs oder mit akuten Leuk?mien waren. Meine Erfahrung: Wenn ein Mensch begreift, da? er eine t?dliche Krankheit hat, dann geht er in gro?en Z?gen durch die folgenden vier Phasen: Ganz am Anfang kann er nicht glauben, da? er wirklich bald sterben wird. Er denkt: K?nnte es sich nicht um eine irrt?mliche Diagnose handeln? In dieser Phase habe ich den Kranken im Zweifel gelassen, um so mehr, als ein Irrtum in der Diagnose in mindestens 15 % der F?lle wirklich m?glich ist. Etwas sp?ter ist der Kranke sicher, da? er eine t?dliche Krankheit hat. Dann fragt er sich: Warum ICH? Nicht nur der Gl?ubige, sondern auch der Agnostiker sieht oft in seiner Krankheit eine Art von Ungerechtigkeit. Dann habe ich meistens versucht, vern?nftig zu argumentieren; das war vielleicht ein Fehler, aber ich selbst bin ein Agnostiker, der nur rational denken und erkl?ren kann. Wenn der Kranke sicher ist, da? er in K?rze sterben wird, geht er danach durch eine Phase von Depression und Hoffnung. Der depressive Zustand ist verst?ndlich, die Hoffnung ist irrational, etwa die Erwartung, da? die medizinische Wissenschaft gerade in diesem Moment eine neue Therapie entdecken k?nnte. Solche Hoffnungen habe ich nur ma?voll, zur?ckhaltend gepflegt. Man darf es nicht an W?rde fehlen lassen, man darf den Kranken nicht f?r naiv halten. Schlie?lich ergibt sich der Sterbende seinem Schicksal. Wie weit ist das psychologisch, wie weit physiologisch? - Wir wissen es nicht.

Ich habe nur das Folgende bemerkt: Wenn der Kranke glaubt, da? sein Leben ein Mi?erfolg war (das tut die Mehrheit der Menschen), resigniert er leichter und akzeptiert ein Ende, auch wenn dieses vorzeitig ist, fast m?helos. Im allgemeinen wird der Kranke, welcher diese Phase erreicht hat, in einigen Tagen oder in einigen Stunden sterben; wenn aber der Kranke ein erfolgreiches Leben hatte, dann wird er immer weiter gegen den Tod k?mpfen; f?r einen solchen Kranken ist der Tod -- wie jeder andere Fehlschlag -- unannehmbar. In dieser letzten Phase ist die Familie fast immer psychologisch unf?hig, die Situation zu beherrschen. F?r den Arzt ist die Schwierigkeit nicht viel geringer. Wann immer es mir m?glich war, bin ich allein mit dem Sterbenden geblieben, ohne irgend etwas zu sagen. Wahrscheinlich habe ich in solchen Momenten begriffen, was ?Lebensphilosophie? sein kann. Bestimmt habe ich bedauert, da? wir alle, Mediziner und Laien, so wenig auf den Tod vorbereitet sind. F?r mich ist das ein typisches Beispiel eines ?geschlossenen? Verhaltens.

Mein zweites medizinisch-soziales Problem ist ein theoretisches: Wann ist ein Mensch klinisch tot, so da? man seine Organe und Gewebe f?r eine chirurgische Transplantation ben?tzen darf? -- Heute ist dieses Problem durch die Elektroenzephalographie gel?st: Der Kranke ist klinisch tot, wenn sein Gehirn tot ist, auch wenn andere Organe und Gewebe noch lebensf?hig sind. In den letzten Jahren seit der Schwangerschaftsunterbrechung hat man ein neues Problem: Darf man aus einem noch immer lebenden F?tus -- der notwendigerweise sehr schnell sterben wird -- Organe, Gewebe und Zellen entnehmen, um sie f?r die medizinische Forschung und Behandlung zu ben?tzen? Meine Antwort ist, ohne Z?gern, positiv (meine pers?nliche Meinung ?ber die Schwangerschaftsunterbrechung ist ein ganz verschiedenes Problem!). Auf diesem Gebiet hat die heutige Gesellschaft eine viel offenere Betrachtungsweise, auch wenn die w?rdigen Verfechterinnen der weiblichen Emanzipationsbewegung nur ?ber ihre ?historischen Errungenschaften? bei der Kontrazeption und der Schwangerschaftsunterbrechung sprechen.

Meine dritte Berufsproblematik ist unangenehm und ?u?erst peinlich: Es handelt sich um den medizinischen Irrtum. Wo ist die genaue Grenze zwischen dem Irrtum als Konsequenz unserer mangelnden medizinischen Kenntnisse und dem Fehler als Folge der Unwissenheit des individuellen Arztes? -- Nimmt der Chirurg zum Beispiel einen ganzen Arm ab, weil alle Tests gezeigt haben, da? eine sehr b?sartige Form eines prim?ren Knochenkrebses an einem Finger besteht, dann studiere ich die Krebszellen mit allen modernen molekular-biologischen Methoden; daf?r braucht man mehrere Monate (in einigen F?llen ist der Operierte schon tot, wenn meine Untersuchungen zu Ende gekommen sind). Und dann zeigt sich mitunter, da? der Tumor doch nicht so b?sartig war; das bedeutet, da? es vielleicht gen?gt h?tte, den Finger zu amputieren. Ja, aber wie sollte man es rechtzeitig wissen? Nat?rlich passiert es auch, da? ein unerfahrener Arzt eine eindeutig fehlerhafte Diagnose macht. Darum sollte man viel ?fter die so genannte ?Fallanalyse? vornehmen, um aus den Fehlern mehr zu lernen. Man sollte auch jedes Mal, wenn ein Kranker im Spital stirbt, eine Obduktion vornehmen. Nach relevanten Sch?tzungen ist die Diagnose der Krankheit in 15 % der F?lle falsch, und in 30 bis 40 % wu?te der Arzt vor der Obduktion nicht, warum der Kranke zu diesem Zeitpunkt gestorben ist.

Was hat das alles mit Poppers Philosophie zu tun? Sehr viel und etwas ganz Wesentliches! Durch ?Fallanalysen?, durch systematische Obduktion, kann man viel ?ber den medizinischen Irrtum und Fehler begreifen. Karl Popper hat geschrieben: Um zu lernen, m?ssen wir gerade von unseren Fehlern lernen. Fehler vertuschen ist deshalb die gr??te intellektuelle S?nde. Fehler zu machen ist menschlich, aber unsere soziale Organisation der Medizin mu? offen sein, mu? kritisierbar sein. Kein Mediziner besitzt die Wahrheit oder wird die Wahrheit besitzen; die medizinische Wissenschaft ist nur die unentwegte Erforschung der Wahrheit. Ich mu? auch annehmen, da? der medizinische Forscher in den methodologischen Irrtum verfallen kann, etwas zu suchen, was zugunsten seiner Hypothese spricht, als etwas zu suchen, was die Hypothese widerlegen k?nnte. Das ist eine Versuchung, die ich selbst mehrfach empfunden habe. Gl?cklicherweise gibt es f?r mich seit zwanzig Jahren, wie es meine Mitarbeiter immer wiederholen, den heiligen Popper, der mich vor dieser Versuchung bewahrt.

Popper: Um Gottes Willen ...

Petrovic: Daf?r m?ssen wir, alle Mediziner Ihnen sehr dankbar sein, Sir Karl. (Heiterkeit, Beifall.) Zum Schlu? m?chte ich noch eine Frage zur Sprache bringen: Wer soll ?ber medizinisch-soziale Fragen entscheiden? Zum Beispiel: Wer soll an einer so genannten ethischen Kommission teilnehmen? Welche Kriterien sollen f?r die Entscheidungen gelten? Eine ?hnliche Frage kann man stellen, wenn es um die Frage geht, wie das Geld f?r die medizinische Forschung verteilt werden soll. Ich mu? sofort betonen, da? man nie wirklich wissen kann, von welcher Seite die L?sung eines medizinischen Problems kommen wird. Sollen die Mitglieder einer solchen Kommission die Entscheidung durch ein geheimes Wahlsystem treffen? Dann kann aber kein Mitglied der Kommission eine pers?nliche Verantwortung ?bernehmen. Infolgedessen ist auch eine konstruktive Kritik ?ber die Auswahl jedes Mitgliedes definitiv unm?glich. Die Fehlerkorrektur und die Verbesserung ist somit ausgeschlossen worden. Anders gesagt, eine solche Kommission wird nicht als das Beispiel einer offenen, sondern als das Beispiel einer geschlossenen Gesellschaft funktionieren, das hei?t einer Gesellschaft, wo die Fehler durch die Poppersche kritische Prozedur nicht korrigiert, nicht berichtigt werden k?nnen.

Meine Forderung: Die Medizin wie die Universit?t im allgemeinen sollte ein Modell der Popperschen neuen Berufsethik sein. Ein besonders gef?hrlicher Aspekt des Konfliktes zwischen beruflicher Kompetenz und der Vertretungsvollmacht ist der folgende: Die Vertreter der Gewerkschaften in der Kommission sind entweder stark ideologisch orientiert oder nach bestimmten professionellen Interessen ausgerichtet. In jedem Fall sind die Gewerkschaften meistens eine Illustration der ?geschlossenen? Gemeinschaft, das hei?t einer Gemeinschaft, welche nicht gerade zur Neuerung und Verbesserung f?hig ist. Fast h?tte ich gesagt, da? die Angst vor dem wissenschaftlichen, technischen und sozialen Fortschritte sich durch den Wahlerfolg der Gewerkschaften ?u?ern kann!

Meine Erfahrung: Wenn die medizinische Kommission durch anonymes Wahlensystem entscheidet und wenn die Gewerkschaftsvertreter in der Mehrzahl sind, dann ist die Zukunft der medizinischen Forschung und T?tigkeit in furchtbarer Gefahr. Karl Popper hat geschrieben: Wir m?ssen uns klarmachen, da? wir f?r die Entdeckung und Korrektur der Fehler andere Menschen brauchen (und die anderen brauchen uns!); insbesondere brauchen wir Menschen mit anderen Ideen, die in einer anderen Atmosph?re aufgewachsen sind. Gerade darum m?chte ich betonen, da? in jedem Land in allen wissenschaftlichen und medizinischen Kommissionen einige Ausl?nder Mitglieder sein sollten. Dadurch kann man zweifellos zu einer besseren Entscheidung kommen, wie ich es aus meiner pers?nlichen Erfahrung in Frankreich und den Vereinigten Staaten gelernt habe. Die medizinischen Forschungsziele und die Forschung sind jedenfalls international.

Kreuzer: Da sich Professor Popper eben selbst gegen die Heiligsprechung gewehrt hat, erlaube ich mir, an dieser Nahtstelle eine gegen den Strich geb?rstete Frage an die beiden letzten Referenten und somit auch an Professor Popper zu stellen: W?re es also richtig, wenn ein Chirurg vor der Operation, wenn er vom Patienten gefragt wird, ob er etwas von Chirurgie verst?nde, zur Antwort gibt: ?Ja, ein bi?chen? ? Es steckt darin ein wirkliches Problem. Oder ein Pilot, der dem einsteigenden Fahrgast sagt, er habe ?ein bi?chen was? vom Fliegen gelernt.

Popper: Ich habe mir diese Frage noch nicht gestellt, aber ich meine, da? er sagen k?nnte: ?Wir wissen leider nicht allzu viel, aber ich werde mir die gr??te M?he geben ...? Die ?rzte machen dauernd die gr??ten Fehler, und die ?rzte haben spezielle Gr?nde, das zu verbergen. Angeblich d?rfen sie es nicht sagen, weil die Patienten sonst das Vertrauen verlieren und weil das Vertrauen der Patienten ein wesentliches Element im Heilungsproze? ist. Ich halte das f?r falsch. Die Patienten wissen sehr gut, da? die ?rzte Fehler machen, und sie werden mehr Vertrauen haben, wenn die ?rzte es auch offen zugeben.

(Zitatende)





Beste Gr??e Ekkehard Friebe



(Fortsetzung folgt)

03.08.2008 09:53 Ekkehard Friebe ist offline Email an Ekkehard Friebe senden Homepage von Ekkehard Friebe Beiträge von Ekkehard Friebe suchen Nehmen Sie Ekkehard Friebe in Ihre Freundesliste auf
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41. Fortsetzung zu:

Karl R. Popper / Konrad Lorenz: ?Die Zukunft ist offen?
Das Altenberger Gespr?ch. Mit den Texten des Wiener Popper-Symposiums
Herausgegeben von Franz Kreuzer

Verlag Piper, M?nchen / Z?rich, 2. Auflage, April 1985
ISBN 3-492-00640-X (Serie Piper Band 340)


Nachstehend bringe ich aus dem oben genannten Buch den Abschnitt:
?Ein Popperianer als Journalist? von den Seiten 123 bis 125:




Zitat:


3. Tag:
Die offene Gesellschaft
(Karl R. Popper, W.W. Bartley III, Gerard Radnitzky, Ivan Slade, Alexandre Petrovic, Peter Michael Lingens, Norbert Leser)
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Ein Popperianer als Journalist

Lingens: Ich bin unter den Teilnehmern dieses Symposiums der einzige Laie. Weder Physiker noch Physiologe, weder Politologe noch Philosoph, sondern Journalist. Verstehen Sie daher bitte, da? ich gar nicht erst versuche, einen eigenst?ndigen Beitrag zum Werk Karl Poppers zu liefern. Alles, was ich anbieten kann, sind Assoziationen zu dem, was ich in diesen Tagen geh?rt habe. Und dort wieder Assoziationen, die in engem Zusammenhang mit meinem Beruf stehen.

Die erste dieser Assoziationen lautet: Nur in der offenen Gesellschaft gibt es freie Journalisten. In einer geschlossenen Gesellschaft kann zwar gelegentlich eine relativ freie Wissenschaft existieren, ein freier Journalismus existiert dort nie. Das ist an sich nichts Neues. Ich habe nur im Verlauf dieses Symposiums gelernt, sehr viel besser zu verstehen, warum das so ist. In der Terminologie Karl Poppers k?nnte man die Gesellschaft als einen Organismus bezeichnen, der zu ?berleben sucht. Das Gesellschaftssystem w?re dann eine Theorie ?ber die Organisation des menschlichen Zusammenlebens, die sich bew?hren soll. Unser t?gliches Leben ist das experimentum crucis, in dem die einzelnen Elemente des gesellschaftlichen Theoriegeb?udes falsifiziert werden. Etwa die Behauptung des Marxismus, da? unter bestimmten Voraussetzungen der Staat abst?rbe, die Behauptung der b?rgerlichen Revolution, da? Gewaltentrennung die B?rgerrechte sichern helfe, oder die Behauptung des Faschismus, da? der F?hrer den Willen des Volkes verk?rpere. Und so fort. Wenn das zur Diskussion gestellte Gesellschaftssystem aus vielen voneinander unabh?ngigen Hypothesen besteht, dann stellt die Widerlegung einer einzelnen solchen Hypothese kein ?bertriebenes Ungl?ck dar. Fu?t ein Gesellschaftssystem hingegen auf einer einzigen, in sich geschlossenen allumfassenden Theorie, so bedeutet deren Falsifizierung eine gesellschaftliche Katastrophe. Jede geschlossene Gesellschaft mu? daher unter allen Umst?nden darauf bedacht sein, da? eine solche Falsifizierung ihrer Ideologie unter allen Umst?nden unterbleibt.

Den wahrscheinlich wichtigsten Beitrag zur Falsifizierung falscher gesellschaftlicher Thesen liefert in der offenen Gesellschaft der freie Journalist. Er ist gleichsam das Auge, das Ohr und der Mund des gesellschaftlichen Organismus. Durch ihn ist dieser Organismus imstande zu erfahren und zu artikulieren, wo und wie eine bestimmte ideologische Behauptung widerlegt wurde. Deshalb mu? jede Diktatur der Gesellschaft die Augen ausstechen, die Ohren zustopfen und den Mund verschlie?en. In der geschlossenen Gesellschaft kann es keinen freien Journalisten geben. Die offene Gesellschaft ist ohne freien Journalisten undenkbar. Denn sie lebt davon, da? falsche Theorie, falsche gesellschaftliche Ma?nahmen so rasch wie m?glich falsifiziert werden, damit sie durch bessere ersetzt werden k?nnen. Daf?r ist entscheidend, ob der Journalist seine Aufgabe als Auge, Ohr und Mund des gesellschaftlichen Organismus korrekt erf?llt. Ob er, nach bestem Wissen und Gewissen, die Wahrheit schreibt.

(Zitatende)





Beste Gr??e Ekkehard Friebe



(Fortsetzung folgt)

07.08.2008 10:38 Ekkehard Friebe ist offline Email an Ekkehard Friebe senden Homepage von Ekkehard Friebe Beiträge von Ekkehard Friebe suchen Nehmen Sie Ekkehard Friebe in Ihre Freundesliste auf
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42. Fortsetzung zu:

Karl R. Popper / Konrad Lorenz: ?Die Zukunft ist offen?
Das Altenberger Gespr?ch. Mit den Texten des Wiener Popper-Symposiums
Herausgegeben von Franz Kreuzer

Verlag Piper, M?nchen / Z?rich, 2. Auflage, April 1985
ISBN 3-492-00640-X (Serie Piper Band 340)


Nachstehend bringe ich aus dem oben genannten Buch die Fortsetzung des Abschnitts:
?Ein Popperianer als Journalist? von den Seiten 125 bis 128:




Zitat:


3. Tag:
Die offene Gesellschaft
(Karl R. Popper, W.W. Bartley III, Gerard Radnitzky, Ivan Slade, Alexandre Petrovic, Peter Michael Lingens, Norbert Leser)
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Ein Popperianer als Journalist (Fortsetzung)
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Lingens: Und hier setzt meine zweite Assoziation im Rahmen dieses Symposiums ein. Schon bevor ich hierher gekommen bin, hatte ich irgendwie das Gef?hl, da? Karl Poppers ?Logik der Forschung? nicht nur das Problem l?st, wie wissenschaftliche Theorien zu behandeln sind, sondern da? sie mindestens so sehr die L?sung eines Problems darstellt, das uns Journalisten immer wieder besch?ftigt: das Problem unserer ?Objektivit?t?. Es gibt auch im Bezug auf uns eine Theorie, die ich nunmehr die K?bel-Theorie des Journalismus nennen m?chte: die Vorstellung, da? wir nur alle Fakten registrieren, alle ?berlegungen in uns aufnehmen m?gen und da? dann, nachdem sie durch uns durchgegangen sind, der richtige, der wahrheitsgem??e, der objektive Bericht herauskommt. Diese Vorstellung ist auch im Zusammenhang mit dem Journalismus ein Unsinn. So wie der Wissenschaftler hat auch der Journalist so gut wie immer eine bestimmte Hypothese, wie sich ein Ereignis zugetragen haben mag oder wie es zu erkl?ren sei. Auch bei ihm besteht die entscheidende Leistung darin, die eigene Hypothese kritisch abzuklopfen.

Um es an einem Beispiel zu sagen: In einem Bericht ?ber sozialen Wohnbau bin ich etwa von der Hypothese ausgegangen, da? privater Wohnbau billiger k?me als ?ffentlich gef?rderter Wohnbau. Meine Aufgabe, diese Hypothese zu ?berpr?fen, unterscheidet sich in nichts von der des Wissenschaftlers. Ich darf mich nicht darauf beschr?nken, Beispiele zu finden, wonach Gemeindebauten tats?chlich teurer sind, sondern ich mu? versuchen, diese meine These zu falsifizieren: Wenn ich nur einen Gemeindebau finde, der billiger gekommen ist als ein privater Wohnbau, dann ist meine These falsifiziert. Ich bin ?brigens tats?chlich auf einen solchen billigen Gemeindebau gesto?en, und nun bin ich vor dem Dilemma gestanden, das wir ebenfalls am ersten Tag behandelt haben: ob ich n?mlich meine These tats?chlich wegen dieses einen widersprechenden Experiments auch schon aufgeben mu?. So wie der Wissenschaftler habe ich mir daraufhin mein Experiment noch einmal angesehen und habe entdeckt, da? die Gemeinde gewisse Aufschlie?ungs- und Planungskosten nicht in die Baukosten einbezogen hat. Rechnet man sie hinzu, dann stimmt meine These wieder. Damit will ich sagen: Jeder korrekte Journalismus arbeitet in Wirklichkeit nach Poppers Prinzip der Falsifikation. Der ideale Artikel m??te so beschaffen sein, da? auch an seiner Spitze die These steht, die es zu beweisen gilt, und da? der Journalist nun der Reihe nach seine Versuche anf?hrt, die eigene These zu falsifizieren. So anf?hrt, da? der Leser diese Versuche quasi nachzuvollziehen vermag. Da? er die Kette der Schl?sse mitverfolgen und unter Umst?nden ihren schwachen Punkt oder ihre Widerspr?chlichkeit aufdecken kann. Auch der Journalist berichtet also nicht die Wahrheit, sondern er berichtet eine Vermutung ?ber die Wahrheit, die er nach bestem Wissen und Gewissen gepr?ft hat. Damit geh?rt es zum Wesen des Journalismus, da? der Journalist sich in soundso vielen F?llen irren kann und irren wird. Denn wenn seine Artikel so beschaffen sind, da? er unter allen Umst?nden recht behalten mu?, dann enthalten sie, wie die entsprechenden wissenschaftlichen Theorien, in Wirklichkeit keine Aussage. Ich halte daher das Eingest?ndnis des journalistischen Irrtums nicht f?r eine Schande, sondern in Wahrheit f?r den sichersten Beweis daf?r, da? ehrlicher und korrekter Journalismus betrieben wurde.

Aber die Parallelen gehen noch weiter: Es gibt auch in der Journalistik etwas ganz ?hnliches wie die Einw?nde Kuhns gegen Popper: die Behauptung n?mlich, journalistische Wahrheitsfindung spiele sich in Wirklichkeit ganz anders ab. Nicht jene Berichterstattung setze sich durch, die der Wahrheit am n?chsten komme, sondern viel eher jene, die die meisten oder vielleicht auch die demagogischsten Journalisten, die reichste Zeitung oder die m?chtigsten Lobbys auf ihrer Seite habe. Beschr?nkte sich diese Kritik darauf hinzuweisen, wie viele Gefahren einer wahrheitsgem??en Berichterstattung drohen, sie w?re wertvoll und ein wesentlicher Beitrag zur offenen Gesellschaft. Aber es wohnt ihr, wie bei Kuhn, eine seltsame Tendenz zur ?bertreibung inne. Sie neigt dazu, den m?glichen Mi?brauch einer Institution mit ihrer prinzipiellen Unbrauchbarkeit zu verwechseln. An dieser Stelle schlie?t sich f?r mich die Assoziationskette zu unserem heutigen Gespr?ch, das der Gef?hrdung der offenen Gesellschaft gewidmet war: Immer steht am Anfang des Abbaus der Demokratie die generalisierende und unbewiesene Behauptung, da? es nicht mehr m?glich sei, mit den vorhandenen Institutionen zu richtigen L?sungen zu gelangen.

Diese Argumentation kleidet sich nur in die verschiedensten Formen: In der Journalistik lautet sie, die Zeitung sei nur ein Instrument der M?chtigen, obwohl sie doch mindestens so sehr ein Instrument der Ohnm?chtigen gegen die M?chtigen ist. In der Justiz lautet sie, Gerichte w?ren prinzipiell nicht f?hig, korrekte Urteile zu finden, weil die Richter der herrschenden, die Angeklagten der unterprivilegierten Klasse angeh?rten -- obwohl unsere Gerichte doch in Wirklichkeit geschaffen wurden, um der Willk?r der jeweils Herrschenden Einhalt zu gebieten. Die Medizin wird als ?Klassenmedizin?, die Kultur als ?Hochkultur? zur kostspieligen Befriedigung einer Minderheit abgewertet. Letztes Extrem dieser Haltung ist dann eine Behauptung, die wir aus der marxistischen Kritik am Kapitalismus kennen: Der ganze demokratische Staat sei nichts anderes als ein Instrument der Herrschenden, ihre Herrschaft abzusichern. Wer glaubt, es sei in der Politik, in der Journalistik, in der Wissenschaft sinnvoll und m?glich, nach besseren, anst?ndigeren L?sungen, nach Wahrheit zu streben, sei naiv und mache sich l?cherlich. Ich halte das f?r eine der ganz gro?en Gefahren f?r die offene Gesellschaft. Mit Popper m??te man sagen: Die Kritik ist gegen?ber sich selber unkritisch geworden. Es ist lebensnotwendig f?r die offene Gesellschaft, daran zu zweifeln, da? wir die Wahrheit besitzen. Aber lebensgef?hrlich, daran zu zweifeln, da? sie gefunden werden kann.

(Zitatende)





Beste Gr??e Ekkehard Friebe



(Fortsetzung folgt)

13.08.2008 11:35 Ekkehard Friebe ist offline Email an Ekkehard Friebe senden Homepage von Ekkehard Friebe Beiträge von Ekkehard Friebe suchen Nehmen Sie Ekkehard Friebe in Ihre Freundesliste auf
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43. Fortsetzung zu:

Karl R. Popper / Konrad Lorenz: ?Die Zukunft ist offen?
Das Altenberger Gespr?ch. Mit den Texten des Wiener Popper-Symposiums
Herausgegeben von Franz Kreuzer

Verlag Piper, M?nchen / Z?rich, 2. Auflage, April 1985
ISBN 3-492-00640-X (Serie Piper Band 340)


Nachstehend bringe ich aus dem oben genannten Buch den Abschnitt:
?Warnung vor unkritischen Kritikern? von den Seiten 128 bis 131:




Zitat:


3. Tag:
Die offene Gesellschaft
(Karl R. Popper, W.W. Bartley III, Gerard Radnitzky, Ivan Slade, Alexandre Petrovic, Peter Michael Lingens, Norbert Leser)
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Warnung vor unkritischen Kritikern

Lingens: Eines der gro?en Probleme meines Berufsstandes besteht darin, da? es kaum irgendwo so viele unkritische Kritiker gibt wie bei uns. Wir leben von der ?bertreibung. Niemand hat die gesellschaftlichen Institutionen so h?ufig diffamiert wie wir: Durchaus l?sbare Probleme im Rahmen einer durchaus funktionst?chtigen Justiz haben wir zur ?Krise der Justiz? hochstilisiert. Durchaus l?sbare Probleme im Rahmen einer im Grunde doch sehr leistungsf?higen Medizin haben wir zur ?Krise der Medizin? gemacht. Durchaus l?sbare Probleme im Rahmen einer doch erstaunlich widerstandsf?higen Demokratie zur ?Krise der Demokratie?. Und alles zusammen nennen wir die Krise der Institutionen oder des Systems. Wir sind es, die mit ganz besonderer Vorliebe den Mi?brauch einer Institution mit ihrer Unbrauchbarkeit verwechseln. Indem wir so, nach der Reihe teils aus Unverstand, teils aus Fahrl?ssigkeit, die Institutionen abwerten, die die freie Gesellschaft gew?hrleisten, gef?hrden wir die freie Gesellschaft selbst. Auf die Wissenschaft ?bertragen k?nnte man sagen: Bew?hrte Theorien werden pl?tzlich abgekanzelt, ohne da? sie falsifiziert worden w?ren und ohne da? bessere Theorien vorl?gen, durch die man sie ersetzen k?nnte.

Ich m?chte mich darum mit aller Intensit?t der ?berzeugung Karl Poppers anschlie?en, da? die Probleme l?sbar sind. Die Institutionen unserer freien Gesellschaft -- die Theorien, nach denen sie gestaltet ist -- sind nicht so schlecht, wie wir sie machen. An einem Beispiel, das f?r viele stehen soll: Eine Zeitlang konnte man in ?sterreich tats?chlich den Eindruck gewinnen, die Justiz sei au?erstande, mit den Verbrechen der M?chtigen, den Wirtschaftsverbrechen im Dunstkreis der Politik, zu Rande zu kommen. Dem lag und liegt ein echtes Problem der Institution zugrunde: Der Staatsanwalt, der ein solches Verbrechen verfolgen soll, ist an die Weisung des Justizministers gebunden. Dieser Justizminister geh?rt grunds?tzlich einer Regierungspartei an. Und diese Regierungspartei ist gerade in ?sterreich mit seiner riesigen staatsnahen Wirtschaft fast immer in den Skandal verwickelt, den es zu untersuchen gilt. Trotzdem hat die Justiz dieses Problem in den Griff bekommen. Teils indem Richter und Staatsanw?lte einfach den Mut hatten, M?glichkeiten, die in den vorhandenen Institutionen durchaus enthalten sind, auch auszunutzen. Teils indem neue M?glichkeiten geschaffen wurden: Das Oberlandesgericht hat die Kompetenzen des Untersuchungsrichters ausgeweitet -- und damit freilich wieder neue Probleme geschaffen. Dennoch sind alle diese Probleme prinzipiell l?sbar: Man kann ein Weisungsrecht konstruieren, das den Staatsanwalt nicht im bisherigen Ausma?e vom Justizminister abh?ngig macht. Man kann die allzu gro?en Kompetenzen des Untersuchungsrichters wieder begrenzen. Und man kann nat?rlich die Wirtschaft aus dem Einflu?bereich des Staates herausl?sen. Man mu? es nur tun.

Wenn es die Theorie geben sollte, diese Gesellschaft sei unf?hig geworden, mit ihren Problemen fertig zu werden, dann l??t sie sich rundum falsifizieren.

Ich selbst m?chte das in einem Bereich tun, in dem selbst Optimisten unsere Lage f?r hoffnungslos halten -- in dem der R?stungskontrolle. Es ist nicht wahr, da? wir zu R?stungsbeschr?nkung au?erstande sind. Eines meiner Idole im Bereich der Wissenschaft ist der Physiker Victor Weisskopf. Dieser Weisskopf war l?ngere Zeit hindurch -- leider ist das schon sehr lange her -- unter den Beratern des Wei?en Hauses. Als solcher ist er mit der Frage konfrontiert worden, ob die USA Raketenabwehrraketen konstruieren sollten. Er hat sich dagegen ausgesprochen und zuerst einmal ein finanzielles Argument ins Treffen gef?hrt: Mit einer solchen Rakete konnte man damals -- wenn ich mich richtig erinnere -- nur drei anfliegende Raketen abschie?en. Es war aber billiger, vier Angriffsraketen herzustellen als eine Abwehrrakete. Die Milit?rs haben gegen Weisskopf eingewendet, da? man irgendwann eine Abwehrrakete mit f?nf, vielleicht sogar noch mehr Sprengk?pfen w?rde konstruieren k?nnen, dann w?rde sich das Verh?ltnis umkehren. Daraufhin hat Weisskopf einen genialen Vorschlag gemacht: Man sollte diese Raketen doch auf dem Papier entwickeln und die Sowjets mit den Pl?nen konfrontieren, um sie zum Einlenken zu bewegen. Ganz ist Weisskopfs Plan leider nicht aufgegangen: Die Techniker haben erkl?rt, allein auf dem Papier ginge das nicht. Aber das Programm, das urspr?nglich als riesiges R?stungsprogramm gedacht war, wurde doch auf einen Bruchteil seiner urspr?nglichen Dimension reduziert. Und aus den von Weisskopf angeregten Verhandlungen ist die Konzeption von SALT gewachsen, wonach keine Supermacht ihr Angriffspotential durch Installierung eines umfassenden Abwehrsystems unverletzbar machen d?rfte. Die Behauptung, es sei unm?glich, den Frieden durch R?stungs?bereinkommen der Superm?chte zu st?rken, war falsifiziert. Es ist dies meine letzte Assoziation im Rahmen dieses Symposiums: Ich glaube, es gibt kein sch?neres Beispiel als dieses, um Poppers Behauptung zu belegen, da? der Mensch als einziges Lebewesen die ungeheure Chance habe, Ideen an seiner Statt sterben zu lassen.


Popper: Ich mu? sagen, da? das der sch?nste Beitrag war, den ich bisher geh?rt habe. Ich m?chte nur zwei Bemerkungen machen: Es ist nicht ganz richtig, obzwar es ja haupts?chlich als Konzession gegen?ber dem Gegner gesagt wurde, da? unter der Diktatur die freie Wissenschaft wirklich m?glich ist. Man braucht nur daran zu denken, da? unter Stalin ein Wissenschaftler namens Lysenko einen gro?en Einflu? in Ru?land gehabt hat und seine Gegner ermordet hat: Sie wurden nach Sibirien geschafft und sind dort verschwunden. Lysenko war ein Genetiker, der ein Gegner des Mendelismus war. F?r eine so abstrakte Frage der Genetik war es m?glich, wissenschaftliche Gegner zu t?ten -- weil sie recht hatten, sonst w?re die Brutalit?t ja ?berfl?ssig gewesen: Gerade weil die Gegner recht gehabt haben, gab es nur ein Mittel, sie loszuwerden, n?mlich sie verschwinden zu lassen. Das ist unter einer Diktatur m?glich. Dann noch eine Bemerkung zur Feststellung, die Justiz sei mit einem Problem ?fertig geworden?. Ich habe eine Assoziation zu ?fertig? -- man wird nie fertig. Das ist entscheidend wichtig f?r alle Demokratien. Im Augenblick, wo du glaubst, du bist mit einem Problem fertig, ist alles verloren. Wir werden nie fertig, unsere Probleme gehen immer weiter.


Kreuzer: Sie haben bemerkt, bei Professor Popper kommt man auch bei gr??tm?glichem Lob nicht ohne einen kleinen Tadel davon. Trotzdem will es der Professor Leser jetzt versuchen.

(Zitatende)





Beste Gr??e Ekkehard Friebe



(Fortsetzung folgt)

21.08.2008 09:37 Ekkehard Friebe ist offline Email an Ekkehard Friebe senden Homepage von Ekkehard Friebe Beiträge von Ekkehard Friebe suchen Nehmen Sie Ekkehard Friebe in Ihre Freundesliste auf
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Herausgegeben von Franz Kreuzer

Verlag Piper, M?nchen / Z?rich, 2. Auflage, April 1985
ISBN 3-492-00640-X (Serie Piper Band 340)


Nachstehend bringe ich aus dem oben genannten Buch den Abschnitt:
?Warum Sacharow f?r die Sowjetunion gef?hrlich ist? von den Seiten 131 bis 133:




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3. Tag:
Die offene Gesellschaft
(Karl R. Popper, W.W. Bartley III, Gerard Radnitzky, Ivan Slade, Alexandre Petrovic, Peter Michael Lingens, Norbert Leser)



Warum Sacharow f?r die Sowjetunion gef?hrlich ist

Leser: Wir m?ssen ausgehen von der Fehlbarkeit, von der Korrigierbarkeit - und das ist ein Prinzip, das sowohl f?r die Wissenschaft als auch f?r die Politik gilt, und deshalb ist ein innerer untrennbarer Zusammenhang zwischen einer freien Gesellschaft, abgesichert durch politische Institutionen, und der Freiheit der Wissenschaft und der Forschung. Dann n?mlich, wenn diese Freiheit und Alternative im politischen Bereich nicht gegeben ist, besteht die gro?e Gefahr, da? diejenigen, die an den Schalthebeln der Macht sitzen, ihre Macht auch dazu gebrauchen, um ihnen unliebsame Theorien zum Schweigen zu bringen.

Und weil heute Sir Popper die Sowjetunion als Beispiel erw?hnt, m?chte ich ein Beispiel einbringen, das Ihnen allen gel?ufig ist, ?ber das man aber doch einmal nachdenken sollte: n?mlich das Problem der Dissidenten, die ja auch bei uns im Westen leben und sich sehr vernehmlich machen. Wieso ist es m?glich, da? sich eine so gro?e Macht wie die Sowjetunion, die angeblich auf der Zustimmung der Arbeiter und Bauern, auf einer Diktatur der gro?en werkt?tigen Massen beruht, vor ein paar Dutzend oder hundert Schriftstellern f?rchtet und nicht mit ihnen fertig wird, au?er sie einzusperren oder au?er Landes zu verweisen oder, wie bei Sacharow, zu verbannen? Wobei dieser Sacharow das Musterbeispiel eines Intellektuellen ist, der nichts anderes will, als was wir alle - und auch die Kritiker unseres Systems - voll in Anspruch nehmen, n?mlich seine Meinung zu sagen. Wieso ist die Furcht so gro?? Sie ist doch irrational. Wahrscheinlich w?rden diese paar Dissidenten, auch wenn sie frei publizieren k?nnten, an der Millionenmasse der amorphen Menschen, die dort leben, abprallen.

Aber ich glaube, es ist doch eine berechtigte Sorge, die die Exponenten dieses Systems haben, da?, wenn der Geist frei zirkulieren k?nnte, die Folgen dann nicht absehbar sind. Deshalb werden sie vom Standpunkt ihres Systems aus konsequent schon in den Anf?ngen bek?mpft - und es kommt vielleicht noch ein Grund dazu, der diese irrationale Abwehr und ?berreaktion gegen ein paar Dutzend Schriftsteller erkl?rt, n?mlich die Tatsache, da? die Bolschewiki selber als revolution?re Minderheit von Verschw?rern inmitten einer amorphen Millionenmasse gro? geworden sind und jetzt in den Dissidenten sozusagen an ihre eigenen Urspr?nge erinnert werden, wodurch die paranoiden Angstreaktionen ausgel?st werden.

Aber man sollte nicht nur auf andere Systeme herabschauen und sie kritisieren. Wir k?nnten ja auch sagen, da? wir in ?sterreich einen sehr weiten Weg zur?ckgelegt haben von der Vergangenheit, auch der gro?en Vergangenheit, von der Karl Popper gesprochen hat, zur Gegenwart. Denn so achtunggebietend die Leistungen waren, von denen er gesprochen hat unter Seitz und Renner und Gl?ckel, man mu? doch feststellen: Es waren zwar keine politischen Systeme im Sinne des Kommunismus oder Faschismus, aber es waren doch geschlossene Gesellschaften, die da nebeneinander leben mu?ten: auf der einen Seite die Sozialdemokratie, auf der anderen Seite die Christlich-Sozialen - und diese Gegenwelten haben nicht nur koexistiert, sondern haben gegeneinander gewirkt. Der B?rgerkrieg war die logische Konsequenz und nicht ein blo?er Betriebsunfall. Wir haben in ?sterreich zwar unsere Gesinnungen nicht abgelegt, aber wir sind insofern eine offene Gesellschaft, da? es jetzt schon im Laufe der Zeit nicht nur verschiedene Regierungskoalitionen gibt, sondern auch eine Gespr?chsbasis zwischen Menschen verschiedener Gesinnung. Ich glaube, ein Fortschritt, den man auch dankbar anerkennen sollte, gerade in einem Land, in dem die Intoleranz in der Vergangenheit so m?chtige Wurzeln gehabt hat.

In dem Sinne w?rde ich sagen: Bei aller Kritik, die der Intellektuelle immer wieder an die Gesellschaft anlegen soll, sollte er doch diese Errungenschaften nicht einfach verschm?hen, sondern auch dankbar annehmen und auch nicht etwas tun, was sehr viele Kritiker unseres Systems tun, n?mlich diese Freiheiten, die wir alle wie selbstverst?ndlich in Anspruch nehmen, als blo? formale Freiheiten abzuqualifizieren und zu irgendeiner angeblichen materiellen Freiheit, die es nirgendwo gibt, in Gegensatz zu stellen.

(Zitatende)





Beste Gr??e Ekkehard Friebe



(Fortsetzung folgt)

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45. Fortsetzung zu:

Karl R. Popper / Konrad Lorenz: ?Die Zukunft ist offen?
Das Altenberger Gespr?ch. Mit den Texten des Wiener Popper-Symposiums
Herausgegeben von Franz Kreuzer

Verlag Piper, M?nchen / Z?rich, 2. Auflage, April 1985
ISBN 3-492-00640-X (Serie Piper Band 340)


Nachstehend bringe ich aus dem oben genannten Buch den Abschnitt:
?Freiheiten m?ssen ausge?bt werden? von den Seiten 133 bis 134:




Zitat:


3. Tag:
Die offene Gesellschaft
(Karl R. Popper, W.W. Bartley III, Gerard Radnitzky, Ivan Slade, Alexandre Petrovic, Peter Michael Lingens, Norbert Leser)



Freiheiten m?ssen ausge?bt werden

Leser: Es stellt sich n?mlich heraus, da? Freiheiten, wenn sie nicht formal abgesichert sind durch entsprechende Prozeduren und Rechte, nur ein St?ck Papier sind. Denn auch unter Stalin hat es in der gro?en Verfassung von 1936 alle Rechte gegeben, nur war dort auch eine Generalklausel, die das alles hinterr?cks zur?ckgenommen hat: Es hat keinen gangbaren Weg gegeben, zu seinem Recht zu kommen. Also die Formalit?t der Demokratie und des Rechtes ist keine Belastung, sondern dient dem Schutz des Menschen und auch dem Schutz des Wissenschaftlers, und deshalb sollten alle politisch und wissenschaftlich und philosophisch handelnden Menschen zusammengreifen, um diese Errungenschaften nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Wir sollten sie nicht durch Abqualifizieren durch etwas zu ersetzen suchen, was keinesfalls besser ist, sondern ein viel gr??eres Risiko f?r die Freiheit in sich birgt.

Popper: Auch das ist mir ganz aus dem Herzen gesprochen. Ich m?chte zuletzt noch einmal sagen: Versuchen Sie, die Welt als das anzusehen, als was man sie sicher ansehen kann: als einen wundersch?nen Platz, den wir wie einen Garten noch verbessern und kultivieren k?nnen. Versuchen Sie dabei die Bescheidenheit eines erfahrenen G?rtners anzuwenden, eines erfahrenen G?rtners, der wei?, da? ihm viele seiner Versuche mi?gl?cken werden. (Beifall)

Kreuzer: Wir haben an diesen drei Tagen einen Karl Popper in drei Welten erlebt: einen Karl Popper der Welt Eins, einen Mann von 81 Jahren in bewundernswerter Kondition; wir haben einen Karl Popper der Welt Zwei erlebt mit einer phantastischen F?higkeit, Gedanken vorzutragen und sich die Welt Eins seines nicht mehr jungen Organismus zu unterwerfen. Ich werde an ein Klavierkonzert von Rubinstein im selben hohen Alter erinnert. Und wir sind der Welt Drei Karl Poppers begegnet, von der ich nicht sagen darf, da? sie im wissenschaftlichen Sinn unsterblich ist. Unsterblich ist sie also vielleicht in einem Aspekt, da? sie auch gro?e Sch?nheit enth?lt wie die Welt der Kunst, wie die Unvollendete Schuberts. In diesem Sinn glaube ich das Wort ?Unsterblichkeit? f?r diese Welt Karl Poppers verwenden zu d?rfen. Vielleicht werde ich noch getadelt daf?r. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. Das Symposium ist beendet.

(Zitatende)





Beste Gr??e Ekkehard Friebe



(Fortsetzung folgt mit einem Nachwort von Karl R. Popper vom Dezember 1984)

31.08.2008 09:32 Ekkehard Friebe ist offline Email an Ekkehard Friebe senden Homepage von Ekkehard Friebe Beiträge von Ekkehard Friebe suchen Nehmen Sie Ekkehard Friebe in Ihre Freundesliste auf
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46. Fortsetzung zu:

Karl R. Popper / Konrad Lorenz: ?Die Zukunft ist offen?
Das Altenberger Gespr?ch. Mit den Texten des Wiener Popper-Symposiums
Herausgegeben von Franz Kreuzer

Verlag Piper, M?nchen / Z?rich, 2. Auflage, April 1985
ISBN 3-492-00640-X (Serie Piper Band 340)


Nachstehend bringe ich aus dem oben genannten Buch den Abschnitt:
?Nachwort von Karl R. Popper (Dezember 1984)? von den Seiten 135 bis 136:




Zitat:


Nachwort von Karl R. Popper (Dezember 1984)

Die hier vorliegende ?bertragung der dreit?gigen Diskussion in Wien konnte ich erst vor kurzem durchlesen. Ich bin den Teilnehmern f?r ihre Mitarbeit zu gr??tem Dank verpflichtet.

Mit dem, was ich selbst am dritten Tag sagte, bin ich ?u?erst unzufrieden. Ich sagte n?mlich so gut wie nichts ?ber das Thema des dritten Tages, ?Die offene Gesellschaft?. Ich m?chte versuchen, das hier gutzumachen.

Der Ausdruck ?offene Gesellschaft?, in Gegensatz zu ?geschlossene Gesellschaft?, stammt von dem bedeutenden franz?sischen Philosophen Henri Bergson (1859 - 1941) und in anderer Verwendung aus meinem Buch Die offene Gesellschaft und ihre Feinde (zuerst ver?ffentlicht 1945, in englischer Sprache). Ich entschlo? mich, dieses Buch zu schreiben, an dem Tag, als ich die Nachricht erhielt, da? Hitler in ?sterreich einmarschiert war.

Das Buch ist eine Verteidigung der Demokratie, geschrieben in einer Zeit, als die Demokratie nicht viele ?berzeugte Anh?nger hatte: Fast jeder, der damals schrieb oder mit dem ich zu sprechen Gelegenheit hatte, prophezeite das nahe Ende der Demokratie und den Sieg des Rechtsfaschismus oder des Linksfaschismus, und jedermann sprach von der inneren Schw?che der Demokratie.

Mit dem Ausdruck ?offene Gesellschaft? bezeichne ich nicht sosehr eine Staatsform oder Regierungsform, sondern eher eine Art des menschlichen Zusammenlebens, in dem Freiheit der Individuen, Gewaltlosigkeit, Schutz der Minderheiten, Schutz der Schwachen wichtige Werte sind. In unseren westlichen Demokratien sind diese Werte f?r die meisten Menschen geradezu Selbstverst?ndlichkeiten.

Da? diese Werte f?r uns so selbstverst?ndlich sind, ist eine der Gefahren, die die Demokratie bedrohen. Denn nur wenige der Menschen haben genug Phantasie, um sich das Leben in einer modernen nicht-demokratischen Gesellschaft vorstellen zu k?nnen. George Orwell hat die notwendige Phantasie besessen. Sein Buch 1984 ist vielleicht etwas, aber nicht wesentlich ?bertrieben. Der nationalsozialistische Staat war wohl noch unmenschlicher, als Orwell ihn zeichnete; aber er war technologisch weniger entwickelt.

(Zitatende)





Beste Gr??e Ekkehard Friebe



(Fortsetzung folgt)

19.09.2008 13:16 Ekkehard Friebe ist offline Email an Ekkehard Friebe senden Homepage von Ekkehard Friebe Beiträge von Ekkehard Friebe suchen Nehmen Sie Ekkehard Friebe in Ihre Freundesliste auf
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47. Fortsetzung zu:

Karl R. Popper / Konrad Lorenz: ?Die Zukunft ist offen?
Das Altenberger Gespr?ch. Mit den Texten des Wiener Popper-Symposiums
Herausgegeben von Franz Kreuzer

Verlag Piper, M?nchen / Z?rich, 2. Auflage, April 1985
ISBN 3-492-00640-X (Serie Piper Band 340)


Nachstehend bringe ich aus dem oben genannten Buch,
Abschnitt ?Nachwort von Karl R. Popper (Dezember 1984)?,
weitere Aussagen von den Seiten 136 bis 138:


Zitat:


Nachwort von Karl R. Popper (Dezember 1984)
[. . . . . . . . . . . . . . . . .]

Aber sprechen wir lieber ?ber die Idee der offenen Gesellschaft und ihren Grundwert, die menschliche Freiheit. Der Weg zu diesen Ideen ist lang. In Europa finden wir die Idee der Freiheit zuerst bei Homer. Hector spricht zu Andromache von dem Tag, an dem Troja fallen wird und die Trojanerinnen ihrer Freiheit beraubt werden. Er spricht vom ?Tag der Freiheit? und vom ?Tag der Knechtschaft?. (Er h?tte von der Nacht der Knechtschaft sprechen sollen.) Es ist das Weiterleben nach dem Verlust des Menschentums. Die M?nner haben es besser: Sie werden im Kampf fallen.

Die Homerischen Epen, die Ilias und die Odyssee, waren die ersten B?cher Europas. Sie wurden in Athen zum ersten Mal niedergeschrieben und um 550 vor Christi Geburt in vielen Exemplaren verbreitet. Sie wurden zur Fibel und zur Bibel Athens. Athen lernte lesen, B?cher wurden kopiert und ver?ffentlicht; und Athen wurde demokratisch. Und unmittelbar darauf wurde Athen zum F?hrer der griechischen St?mme in den Freiheitskriegen gegen die Perser. Das war, in K?rze, die Geburt der europ?ischen Idee der Freiheit und der europ?ischen Zivilisation.

Die athenische Demokratie war sehr unvollkommen. Die athenischen B?rger waren frei. Aber sie hatten Sklaven. Wie Sie wohl wissen, gab es Leibeigene in Mitteleuropa und Ru?land und Sklaven in Amerika bis in die zweite H?lfe des vorigen Jahrhunderts, und ein furchtbarer B?rgerkrieg brach in Amerika ?ber das Problem der Sklaverei aus, bevor die Sklaverei abgeschafft wurde.

Die Geschichte Europas und der amerikanischen Republiken ist, so kann man wohl sagen, die Geschichte eines Kampfes um die Freiheit. Bisher hat er 25 Jahrhunderte gedauert; 25 Jahrhunderte voll von Niederlagen. Es ging um Freiheit und gleiches Recht f?r alle. Um zu beurteilen, was in 100 Jahren erreicht wurde, d?rfen wir nicht vergessen, da? Leibeigenschaft in ?sterreich erst unter Kaiser Franz Joseph abgeschafft wurde, den ich als Kind noch oft gesehen habe.

Aber der Kampf um die Freiheit und um die Achtung vor dem Menschen, dem Menschenleben und der Freiheit des Menschen geht weiter. Denn es gibt keine einfachen L?sungen. Das ist eine ?beraus wichtige Einsicht. Alle unsere Werte haben Grenzen. Und diese Grenzen k?nnen nur schwer gezogen werden.

So ist es mit der Freiheit. Es ist klar, da? meine Freiheit Grenzen haben mu?. Wie ein amerikanischer Richter einst sagte: ?Die Grenze f?r deine Freiheit, deine F?uste so zu bewegen, wie es dir beliebt, ist die Nase deines Nachbarn.? So kommen wir zu dem, was der gro?e Philosoph Kant als die durch das Zusammenleben der Menschen unvermeidlichen Beschr?nkungen der Freiheit beschrieben hat. Diese Beschr?nkungen sollen m?glichst gleich verteilt werden.

Wir brauchen den Staat und seine Gesetze, um zu erreichen, da? f?r alle B?rger die unvermeidlichen Grenzen ihrer Freiheit die gleichen sind.

So f?hrt die Idee der Freiheit unvermeidlich zur Idee der Gleichheit. Aber die Idee der Gleichheit enth?lt Gefahren f?r die Idee der Freiheit. Wenn es die Aufgabe des Staates ist, ?ber die Gleichheit der Rechte und Pflichten der Staatsb?rger zu wachen, so wird die Staatsmacht zu einer Gefahr f?r die Freiheit. Das haben viele Denker gesehen. Die Gefahr kann die B?rokratie sein, die zur herrschenden Klasse wird und damit nicht nur die Freiheit, sondern schlie?lich auch die Gleichheit bedroht und unter Umst?nden vernichtet: Wir k?nnen nicht nur von einem Diktator versklavt werden, von einem Mussolini, Stalin oder Hitler, sondern auch vom Staat selbst, von einer anonymen B?rokratie. Diese Gefahr wurde sehr klar von Alexis de Tocqueville analysiert, in seinem gro?artigen Werk Die Demokratie in Amerika (ver?ffentlicht 1835 und 1840), und sp?ter von Max Weber.

Ich kann mich an den Platz in Wien erinnern (es war hinter dem Gutenberg-Denkmal am Lugeck), an dem ich, im J?nner 1918, pl?tzlich sah, da? eine vollkommene oder sehr ann?hernd vollkommene Gesellschaftsordnung sich kaum lange erhalten kann: Wenn es den Menschen sehr gut geht, wird ihnen die freie Atmosph?re zur Selbstverst?ndlichkeit, und sie werden die Wachsamkeit verlieren gegen die Gefahren, die die Freiheit bedrohen. Solange es ehrgeizige, machthungrige Menschen gibt, werden sie deshalb eine allzu gl?ckliche Gesellschaftsform leicht ins Ungl?ck st?rzen. (Das war auch die Idee, die die athenischen B?rger zur Einf?hrung und Anwendung des Ostrazismus - des Scherbengerichts - inspirierte, durch das sie Aristides und Themistokles und andere in die Verbannung schickten.) Es kann keine vollkommene Gesellschaft geben.

Es gibt noch viele andere Gr?nde, die eine zu vollkommene Gesellschaftsordnung entweder in Unfreiheit st?rzen oder sonst nicht lebensf?hig machen w?rden. Viele Utopien sind in Amerika versucht worden; und wir sollten von einer offenen Gesellschaft verlangen, da? sie solche Versuche nicht nur duldet, sondern fordert. Aber jene Utopien, die frei waren, zerfielen bald; und jene, die nicht zerfielen, waren unfrei: Sie waren von einem religi?sen oder ideologischen Dogma geleitet.

(Zitatende)





Beste Gr??e Ekkehard Friebe


(Fortsetzung folgt)

21.09.2008 10:51 Ekkehard Friebe ist offline Email an Ekkehard Friebe senden Homepage von Ekkehard Friebe Beiträge von Ekkehard Friebe suchen Nehmen Sie Ekkehard Friebe in Ihre Freundesliste auf
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48. Fortsetzung zu:

Karl R. Popper / Konrad Lorenz: ?Die Zukunft ist offen?
Das Altenberger Gespr?ch. Mit den Texten des Wiener Popper-Symposiums
Herausgegeben von Franz Kreuzer

Verlag Piper, M?nchen / Z?rich, 2. Auflage, April 1985
ISBN 3-492-00640-X (Serie Piper Band 340)


Nachstehend bringe ich aus dem oben genannten Buch,
Abschnitt ?Nachwort von Karl R. Popper (Dezember 1984)?,
weitere Aussagen von den Seiten 138 bis 141:


Zitat:


Nachwort von Karl R. Popper (Dezember 1984)
[. . . . . . . . . . . . . . . . .]



Gesellschaftsordnungen k?nnen nicht besser sein als ihre Mitglieder. Und obwohl Erziehung viel tun kann, so bedeutet das ja nur, da? Menschen auf andere (und insbesondere auf j?ngere) einwirken k?nnen. Aber wirklich gute Erzieher sind nicht h?ufig. Und auch geborene Erzieher und Lehrer k?nnen ihrer T?tigkeit m?de werden.

Damals, als mir klar wurde, da? es keine vollkommene Gesellschaftsordnung geben kann, war ich Mitglied einer Jugendbewegung. Ich war ?ber 16 Jahre alt und geh?rte einer v?llig unorganisierten Jugendgruppe an. Es war eine sehr nette Gruppe. Wir machten Ausfl?ge, gingen in die Berge, diskutierten und hofften, die Welt zu verbessern. Und wir rauchten nicht, tranken keine alkoholischen Getr?nke und - selbstverst?ndlich - nahmen keine Drogen.

Aber selbst innerhalb dieser Gruppe gab es Spannungen, wenn auch wohl unwichtige, und Unstimmigkeiten, die nicht h?tten vorkommen sollen. Sogar diese Gruppe war eine unvollkommene Gesellschaft. Obwohl ich ihrer Lebensweise treu blieb und obwohl ich noch mit f?nf der ?berlebenden befreundet bin, verlie? ich sie, weil ich in Kinderheimen arbeitete und mit den Kinderfreunden: weil andere Gruppen wichtiger wurden. Aber keine Gruppe war vollkommen, und die Unvollkommenheiten nahmen zu mit der Gr??e der Gruppen.

Immer wieder wurde der Versuch gemacht, die Menschen mit Gewalt zusammenzuhalten oder mit Drohungen. Die Drohung mit der H?lle war so ein Versuch. Formen des Terrorismus sind mehr zeitgem??.

Die Versuche unserer westlichen Demokratien, mit dem mildesten, dem tolerantesten Strafrecht zu arbeiten, das es je gegeben hat, sind sicher nicht vollkommen erfolgreich, aber doch besser als alles in der Vergangenheit.

Nun zur Frage der politischen Macht. Plato formulierte das Problem folgenderma?en: Wer soll herrschen? Die wenigen oder die vielen? Seine Antwort war: Der Beste soll herrschen! Das w?re auch die Antwort von Mussolini gewesen oder die von Hitler. Die Frage blieb im wesentlichen immer dieselbe. Marx fragte genauso: ?Wer soll herrschen? Die Kapitalisten oder die Arbeiter??

Aber die Frage ?Wer soll herrschen?? ist schlecht gestellt. Ich habe vorgeschlagen, sie durch eine andere zu ersetzen. N?mlich durch die Frage: Wie k?nnen wir den Staat und die Regierung organisieren, da? auch schlechte Herrscher keinen allzu gro?en Schaden anrichten k?nnen? Die Antwort auf diese Frage ist die Demokratie, die uns erlaubt, eine Regierung ohne Blutvergie?en abzusetzen. Man denke etwa an die Absetzung (formal war es eine Selbstabsetzung) des Pr?sidenten Nixon.

Nat?rlich werden wir versuchen, eine gute Regierung zu bekommen. Aber das wird uns nicht immer gelingen. Churchill, der ein guter Demokrat war, sagte einmal: ?Die Demokratie ist die schlechteste Regierungsform - ausgenommen alle anderen Regierungsformen, die je versucht worden sind.? Diese Bemerkung von Churchill k?nnte vielleicht folgenderma?en interpretiert werden: Wenn du eine vollkommene Gesellschaft anstrebst, so wirst du sicher gegen die Demokratie sein. Aber du wirst nichts Besseres zusammenbringen. Politik bedeutet, das kleinere ?bel zu w?hlen.

Wir m?ssen uns klar sein, da? wir Demokraten nur f?r unsere westlichen Demokratien verantwortlich sind. Die Staaten der Dritten Welt w?rden es nicht zulassen, da? wir die Verantwortung f?r ihre Probleme ?bernehmen. Denn das w?re ja Kolonialismus. Aber was unsere Probleme betrifft -- Armut, Hunger, ungerechte Rechtsprechung und grausamer Strafvollzug, Schutz der sprachlichen, religi?sen, ethnischen Minderheiten, Sklaverei und andere Formen der Knechtschaft ?, so haben wir diese Dinge besser gemacht als je zuvor. Und was das gro?e Problem der Arbeitslosigkeit betrifft, so versuchen wir, es zu l?sen.

Ich m?chte alle diese Punkte in den Satz zusammenfassen: Unsere westlichen Demokratien sind die gerechtesten Gesellschaftsordnungen, die es bisher in der Geschichte gegeben hat; und sie sind die besten, weil sie die reformfreudigsten und die selbstkritischsten Gesellschaftsformen sind. Wir alle m?chten sie nat?rlich weiter verbessern. Die, die sie schlecht finden, wissen nicht, wie die Alternativen aussehen. Sie sind Opfer der Propaganda, die uns in eine viel weniger freie und weniger gerechte Gesellschaftsordnung locken will und deshalb unsere Gesellschaftsordnung als schlecht darstellt.

Was den Krieg betrifft und die Atombombe, so hat auch die Atombombe etwas Gutes erreicht: Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit will niemand mehr den Krieg, weder im Westen noch in Ru?land. (Die russischen F?hrer hoffen, da? wir den Mut verlieren und ohne Krieg klein beigeben.) Da? wir alle endlich gegen den Krieg sind, ist ja doch eine wichtige Tatsache. Aber die Kriegsverhinderung ist ein sehr ernstes Problem und kann nicht in einem Nachtrag zu einer Diskussion behandelt werden.

Ein demokratischer Staat kann nicht besser sein als seine Staatsb?rger. So m?ssen wir hoffen, da? die gro?en Werte einer offenen Gesellschaft - Freiheit, gegenseitige Hilfe, Wahrheitssuche, intellektuelle Verantwortlichkeit, Toleranz - auch in Zukunft als Werte anerkannt werden. Daf?r m?ssen wir unser Bestes tun.

(Zitatende)





Beste Gr??e Ekkehard Friebe



(Ende dieser Fortsetzungs-Reihe)

27.09.2008 10:30 Ekkehard Friebe ist offline Email an Ekkehard Friebe senden Homepage von Ekkehard Friebe Beiträge von Ekkehard Friebe suchen Nehmen Sie Ekkehard Friebe in Ihre Freundesliste auf
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