Das Glasperlenspiel der modernen Physik

von Universitätsprofessor Dr. Ing. Rudi Waibel, Neu­biberg



Quelle:

Zeitschrift:“raum&zeit“, Nr. 55 (1992), Seiten 62 - 67


„Die Nachdenklichkeit wächst“ heißt es in einer raum&zeit-Werbeanzeige. Das Buch „Eine Geschichte des Glasperlenspiels, Irre­versibilität in der Physik, Irritationen und Folgen“ des Universitätsprofessors Dr. Ing. Dieter Straub von der Bundeswehrhochschule München (Thermodynamik und Wärmeübertragung) ist ein weiteres Beispiel für diese Behauptung. Das Buch analysiert messerscharf die geistig-ethische Krise, in der sich die Deutsche Physik zur Zeit befin­det. Der Kollege des Buchautors, Professor Dr. Waibel, hat die nicht leichte Aufgabe übernommen, das Buch, das fundamentale Diskussionen auslösen wird, für raum&zeit zu besprechen. Es wurde mehr als eine Be­sprechung. Es wurde eine ausgezeichnete Bestandsaufnahme sowohl der Ursachen für die Krisis der Deutschen Physik als auch eine fabelhafte Einführung in die Gedan­kengänge des Buchautors.


Dieses für einen brei­ten interessierten Le­serkreis geschriebene Buch über die Ent­wicklung der Naturwissenschaf­ten deren Weichenstellung und auch Irrwege, erschien zu einem Zeitpunkt, als die deutsche phy­sikalische Gesellschaft (DPhG) zum Sturm gegen die öffentli­che Förderung der bemannten Raumfahrt blies. Gleichzeitig genieren diese Vertreter sich nicht - sie betrachten es als pure gottgegebene Selbstver­ständlichkeit -, die Präsidenten-posten der wichtigsten nationa­len und internationalen Luft-und Raumfahrtinstitutionen, wie der DARA, DLR und der ESA, mit prominenten theoreti­schen Physikern zu besetzen. Unabhängig davon, ob es Grün­de für dieses Verdikt gibt, stellt sich die Frage, was die Reprä­sentanten der DPhG über einen ebenso massiven Protest der verschiedenen deutschen Inge­nieurgesellschaften, wie des VDI oder VDE, beispielsweise gegen die immer gigantischeren Ansprüche an Teilchenbe­schleuniger einwenden würden. Immerhin drückte sich bereits vor vielen Jahren kein geringe­rer als W. Heisenberg eindeutig gegen die mit dieser Elephantitis verbundene utopische Erwar­tungshaltung der Elementarteil­chenphysiker zu solcherart Grundlagenforschung aus.



Physikalisches Kirchenlatein

Dieser heute nahezu selbstver­ständliche Anspruch prominen­ter Theoretischer Physiker auf öffentliche Anerkennung und ge­sellschaftlichen Einfluß ist inso­fern schwer zu begreifen, da de­ren wissenschaftliche Qualifika­tion auf Veröffentlichungen be­ruht, die der breiten Öffentlich­keit weder bekannt noch ver­ständlich sind. Eine solche Situation ist historisch nur mit je­nem Zeitraum vergleichbar, als das Kirchenlatein dem Klerus als Herrschaftsinstrument gegenü­ber einer fast nur aus Analpha­beten bestehenden Gläubigenschar diente.

Von der breiten Öffentlichkeit wird ein solcher auf fachmänni­sche Beratung ausgerichteter Einfluß anscheinend nicht er­wartet, vor allem dann nicht, wenn es kommunalen Reprä­sentanten gelingt, sich die Bera­tung eines renommierten Astro­physikers zu aktuellen Fragen der Stadtplanung zu sichern. Natürlich helfen dazu die Medi­en eifrig mit, zumal dann, wenn die Gelegenheit besteht, mög­lichst paradoxe physikalische Theorien fernsehwirksam zu vermarkten. Die modische Theorie vom deterministischen Chaos ist hierzu ein aktuelles Beispiel. In fast allen Kanälen wurde diese Theorie zum Teil in umfangreichen und aufwendi­gen Sondersendungen präsen­tiert; einige Wissenschaftsre­dakteure stellten dabei ab­sonderliche Verknüpfungen zwischen chaotischem Verhal­ten und Wetterveränderungen oder kosmische Katastrophen oder gar AIDS-Ausbreitung her.


Das „Wechselspiel“ zwischen hoher Wissenschaft und an­spruchsvoller Journalistik funk­tionierte in diesem Fall vorzüg­lich: Im selben Jahr - 1990 - hat die DPhG fast alle ihre wissen­schaftlichen Preise an Forscher mit starker Affinität zur Chaosforschung verliehen. Sie nahm bislang nicht zur Kenntnis, daß inzwischen erwiesen ist, daß na­hezu alle publizierten Chaoslö­sungen „prominenter“ Differen­tialgleichungen „fabriziert“ sind.

Einer der Preisträger bezog sich in seinem Festvortrag aus­drücklich auf eine solche „Cha­oslösung“ (Lorenz-Attraktor) als maßgebliche Anregung für seine preisgekrönten Forschungsar­beiten. Die Beispiele stellen eine Momentaufnahme einer Ent­wicklung des einflußreichen Teils der „Scientific Community“ dar, die in diesem, hier zu bespre­chenden neuen Buch unter zahl­reichen Aspekten analysiert wird.



Tendenz zur Realitätsferne

Der Autor dieses Buches führt jene Entwicklung auf eine stetig zunehmende Tendenz der theo­retischen Physik zur Realitätsfer­ne zurück. Erstaunlich viele Phy­siker entwickelten Neigungen zur Spiritualität und Esoterik. In ihrem eigentlichen Metier bilden sich zunehmend immer mehr kleine internationale Fachgrup­pen, deren Mitglieder nur noch untereinander - nach Möglich­keit mit eigener Fachsprache -kommunizieren.

So ist es in der deutschen Hochschullandschaft seit gerau­mer Zeit symptomatisch, daß z.B. an ingenieurwissenschaftli­chen Fakultäten Physiker auf Lehrstühle für viele Fächer beru­fen werden; der umgekehrte Fall kommt so gut wie nie vor: die Einbahnstraße ist typisch, In­zucht erscheint als normal.

Der Titel des Buches beruft sich mit seinem Bezug auf das Glasperlenspiel absichtlich auf Hermann Hesse's Hauptwerk, wobei in bemerkenswerter Wei­se alle die umfangreichen Mate­rialien zu diesem berühmten Buch berücksichtigt sind. Aus ih­nen lassen sich mehrere voneinander erheblich abweichende Fassungen nachweisen, die Her­mann Hesse zur anschaulichen Beschreibung seiner imaginären „Geschichte des Glasperlenspiels“ herangezogen hat. Be­sonders die letzte Fassung betont jene Elemente der Spielpraxis, die zu einer unweigerlich ästheti­sierenden Sterilität der Spielre­geln führten und die Rituale des Glasperlenspiels zur Selbstdar­stellung der Spielmeister - der Ludi Magistri - werden ließ.

Der Autor benutzt Hesses Le­gende in doppelter Hinsicht als Allegorie zur bildhaften Darstel­lung eines Abstractums: Die Theoretische Physik. Er analy­siert dabei nicht nur deren Inhal­te und Methoden, sondern zielt auch auf ihre Organisationsfor­men, Hierarchien und Helden. Mit einer Zitatenkollage aus der Einleitung zu Hesses Alterswerk gelingt dem Autor eine gleicher­maßen witzige und treffende Per­siflage über die Rituale und Eitel­keiten des modernen Wis­senschaftsbetriebs und seiner Repräsentanten. Dieses kurze Kapitel, in dem der Schriftsteller dem Wissenschaftler in nichts nachsteht, trennt Straubs „Glas­perlenspiel“ in einleitenden Teil und Hauptteil mit den Kapiteln vier bis acht.

Die Scharnierfunktion dieser kurzen satirischen Beschreibung der akademischen Regeln des „wissenschaftlichen“ Glasperlenspiels besteht vor allem darin, Anspruch und Anliegen des Au­tors deutlich von den Versuchen abzusetzen, beide seriös zu be­gründen und exemplarisch zu be­legen. Sie soll so den beim Leser beabsichtigten Eindruck verstär­ken, daß die in der Satire offen­sichtlichen Analogien zwischen Schein und Wirklichkeit nicht zu­fällig und noch weniger komisch sind.



Heilige Theoretische Physik pure Ideologie

Das Thema selbst, das wenig Raum für Satire läßt, befaßt sich mit den historischen, gesell­schaftlichen, aber vor allem wis­senschaftlichen Sachverhalten und Hintergründen, die zur Theoretischen Physik in ihrer heutigen Verfassung als pure

Ideologie führten. Der Autor führt am Beispiel der nach wie vor ständigen Auseinanderset­zung um die Rolle der Irreversibi­lität den Nachweis, daß die stren­ge Dogmatik der Physik auf zwei Säulen beruht: auf der immer un­durchsichtigeren Formalisierung mittels Mathematik und auf einer spezifischen, zunehmend un­duldsamen Konsensbildung in­nerhalb der internationalen Scientific Community.

Dieser „inneren“ Struktur ent­spricht die Außenwirkung der Theoretischen Physik in der durch die Medien informierten breiten Öffentlichkeit. Zur Zeit gibt es kaum ein publizitätsträchti­ges Thema, zu dem nicht promi­nente Physiker in Interviews oder Talkshows ihre Meinung zum Be­sten geben, egal, ob es sich um den Frieden, die Müllverbren­nung, das Ozonloch oder um Stadtplanung handelt. Dabei äußern sie keineswegs als Prof. X oder Dr. Y ihre persönliche sub­jektive Meinung; sie sprechen auch nicht als Experten, sondern stets als Universalisten, sozusagen als die personifizierte Objektivität.


Dieser heute na­hezu selbstver­ständliche An­spruch promi­nenter Theoreti­scher Physiker auf öffentliche Anerkennung und gesell­schaftlichen Ein­fluß ist insofern schwer zu be­greifen, da de­ren wissen­schaftliche Qua­lifikation auf Veröffentlichun­gen beruht, die der breiten Öffentlichkeit weder bekannt noch verständ­lich sind.


Nun kann man dagegenhal­ten, daß eine solche Diskrepanz auch für Ärzte gegenüber ihren Patienten besteht, es ja selbst beim Techniker in einer Autoreparaturwerkstatt kaum zu einem Gespräch über fachliche Details kommt. Hier darf man jedoch nicht übersehen, daß in diesen Fällen eine in den Tätigkeiten der Mediziner und Techniker in­härent angelegte Rückkoppe­lung mit der Praxis wirkt: ihre „Produkte“ müssen sich in über­schaubarer Zeit am „Markt“ be­währen. Diese Situation ist grundlegend verschieden von der Meinungsäußerung z.B. ei­nes prominenten Fusionsfor­schers über allgemeine Fragen der aktuellen Energiepolitik, wenn sich seine Erfahrungen auf Theorien und Experimente be­ziehen, die, selbst nach der jetzt gelungenen Kernfusion im Labormodell, Prognosen in frühe­stens 50 Jahren gestatten. Die Expertise ohne Rückkoppelung mit einem überprüfbaren Bezug bleibt unverbindlich; eine per­sönliche Verantwortung ist dann nie gegeben.

Selbstverständlich richtet sich Straubs Buch in keiner Weise ge­gen die wertvolle und nützliche Arbeit der überwiegenden Mehr­zahl aller Physiker an vielen drängenden Problemen unserer Zeit. Gegenstand der Kritik ist der erwähnte priesterliche An­spruch vieler ihrer Repräsentan­ten, „die Wahrheit“ verkünden zu können. Die zahlreichen po­pulärwissenschaftlichen Bücher bezeugen jedem interessierten Zeitgenossen dieses Herrschafts­wissen. An sich wäre die Bedürf­nisbefriedigung der Öffentlich­keit unterstützungswürdig. Wenn sie jedoch entsprechend der Dogmatik der etablierten Lehre erfolgt, wirkt sie antiaufklärend, ja sie wird zum reinen Geschäft ohne Rücksicht auf eventuelle Folgen für manche Ängste des Lesers, wie z.B. im Hinblick auf die derzeitige Klimahysterie.

Wie sehr dieser markante Aspekt verkaufsfördernd genutzt wird, zeigen schon die zuneh­mend emotional gefärbten Be­zeichnungen modischer For­schungsgebiete wie dissipative Strukturen, Life Game, Ordnung und Chaos, Katastrophentheorie etc. Mit den alltäglichen Vorstel­lungen haben solche Begriffe kaum etwas zu tun; sie sind in al­ler Regel unpassender Ausdruck für irgendwelche mathemati­schen Spezialitäten, zeigen je­doch, wie sehr sich maßgebliche Kreise der Scientific Community bereits von den realen Proble­men dieser Welt abgeschottet haben. Häufig kommt da die Chance gerade recht, die eige­nen Glasperlenspiele als relevan­te Grundlagenforschung zu er­klären und durch einflußreiche Expertenzirkel fördern zu lassen.

In seinem Buch versucht Straub nachzuweisen, daß dieser Trend zur Realitätsferne nicht peripher verläuft, sondern in der historischen und fachlichen Ent­wicklung der Physik inhärent an­gelegt ist. Weiterhin behauptet er, daß die dadurch drohenden Divergenzen zwischen Theoreti­scher Physik einerseits und den Natur- und Ingenieurwissen­schaften andererseits tiefgreifen­de und kostspielige Folgen für Kultur und Gesellschaft haben werden. Das ganze 2. Kapitel ist diesem brisanten Thema gewid­met, wobei der Vorzug der Dar­stellung darin besteht, daß sich der Autor auf konkrete und hauptsächlich aus seiner berufli­chen Umgebung stammende Beispiele beschränkt.

Natürlich fragt sich mancher Leser zu Recht, von welcher Grundlage aus der Autor es wa­gen kann, solche Behauptungen nicht nur seriös zu begründen, sondern sogar nachzuweisen. Dafür sind offensichtlich drei Fundamente erkennbar.

1. Breites berufliches Erfah­rungsspektrum und Interesse auf einem Gebiet der Luft- und Raumfahrttechnik, das beson­ders stark von einer funktionie­renden Symbiose zwischen Phy­sik und Technik abhängt;

2. tiefe Kenntnisse der mathe­matischen Naturwissenschaft und ihre Einbettung in eine wis­senschaftliche Tradition und

3. ein eigenständiger und weit­reichender Beitrag zu den Grundlagen der Nichtgleich­gewichtsthermodynamik bzw.-physik.

Ersteres gewinnt seine Bedeu­tung für das Thema des Buches aus der vielseitigen Tätigkeit des Autors in einem überwiegend ex­perimentell ausgerichteten Uni­versitätsinstitut für Thermodyna­mik, dessen Forschungsschwer­punkte maßgeblich von ihm mit­bestimmt und initiiert sind. Eine stetige Rückkoppelung seiner ei­genen theoretischen Arbeiten mit Erfahrungen und Empirie ist dadurch a priori gewährleistet.

Besondere Bedeutung verdient der zweite Punkt, weil es jenen in­tellektuellen Aufwand aufzeigt, den man für eine angemessene und faire Beurteilung der behan­delten Probleme aufbringen muß. Hier könnte sich mancher Leser überfordert fühlen, obwohl es gar nicht so sehr um fachliche Vor­aussetzungen geht, die der Leser mitbringen sollte, sondern viel­mehr um jenen Dissens in der Auffassung der Physik, wie sie Straub gegenüber der etablierten Lehre vertritt. Denn man darf -bei näherer Kenntnis der Person und des Menschen Straub - ge­trost unterstellen, daß der Autor sein „Glasperlenspiel“ nicht zur Befriedigung seiner Eitelkeit oder als Wissensprotz' sondern nur aus Liebe zur Physik und gegen ver­hängnisvolle Fehlentwicklungen vornehmlich im theoretischen Teil dieser Disziplin verfaßt hat.

Immer wieder fällt die schein­bar ambivalente Einstellung des Autors gegenüber der Mathema­tik in ihrer Bedeutung für die theoretische Physik auf. Er be­zweifelt nicht, daß sich die natur­wissenschaftliche Verbindlichkeit einer Theorie nun einmal in ihrer mathematischen Formulierung manifestiert; diese Überzeugung schließt jedoch auch ein, daß physikalisches „Messen“ nichts anderes bedeutet, als eine Beob­achtung in Zahlen auszudrücken.

Dieter Straub ist allerdings einer Handlungsmaxime verpflichtet, die jeder faktisch ausschließlich der Ästhetik verpflichtete und als Modellphysik beschönigten ma­thematischen Theorie diametral entgegensteht: zum einen dringt er darauf, die von G. Falk über Jahrzehnte entwickelte Allgemei­ne Dynamik als Beschreibungs­weise realer, empirischer Sach­verhalte zu benutzen. Diese an Gibbs' Thermodynamik orientier­te Methode bietet ein weit über diese Disziplin hinausreichendes universelles mathematisches In­strumentarium, das die Realität naturwissenschaftlich-finit faßt und sie gegenüber der unum­gänglichen Metaphysik abzugren­zen gestattet.

Für den Gegenstand unter Punkt 3 bedarf es keiner weiteren Erklärung, als daß der erwähnte Beitrag konzeptionell aus Falks Allgemeiner Dynamik hervor­ging, sowie der - ingenieurwis­senschaftlich fast selbstverständli­chen - Verpflichtung zum Feedback mit der Realität genügt. Diese von Straub inzwischen voll­ständig ausgearbeitete Alternative Kontinuumstheorie kompressibler Fluide (als Alternative Theorie bezeichnet: AT) bietet ein auf wenigen universellen Prinzipien beruhendes Verfahren zur Be­schreibung realer Nichtgleichge­wichtsprozesse. Die AT zeigt z.B. die grundlegenden Mängel der weltweit als sakrosant geltenden Navier-Stokes-Fourier-Differen­tialgleichungen auf; diese Glei­chungen werden heutzutage in al­ler Regel kritiklos als „das Werkzeug“ für alle strömungsme­chanischen und aerodynami­schen Problemstellungen verwen­det. Die AT selbst ist an anderer Stelle ausführlich dokumentiert. Sie spielt im „Glasperlenspiel“ nur eine kommentierende Rolle, und zwar dort, wo ihre Prinzipien denen der etablierten Lehre un­vereinbar diametral gegenüber stehen.



Die Zunft gewährt nur selten „Gnade“

Die ideologische Ausrichtung der Theoretischen Physik ist - wie im „Glasperlenspiel“ facettenreich dargelegt - keineswegs nur am Verhalten von Wissenschaftlern gegenüber Konkurrenten (Kap. 8) und im intellektuellen Umgang mit ihren Aufgaben zu erkennen. Besonders die historische Per­spektive belegt zweifellos, daß der wissenschaftliche Gegenstand seit Anbeginn der neuzeitlichen Phy­sik stets dogmatischen Zwängen untergeordnet wurde. Auf eine vereinfachte Formel gebracht, kann das aus der Antike transpor­tierte mechanistische Weltbild kombiniert mit ausgeprägter Dominanz der mathematischen Ästhetik als Invariante während der gesamten Entwicklungsge­schichte der Physik betrachtet werden. Diese Invariante wirkt so stark auf Inhalt und Form der phy­sikalischen Theorien, daß selbst sogenannte Falsifikationen in gra­vierenden Fällen oft Jahrzehnte benötigen, um anerkannt - je­doch nicht unbedingt beseitigt -zu werden. Viele renommierte Forscher mußten diese Folgen der „Tradition“ erfahren. Wenn es sich dabei um einen fachlichen Außenseiter handelt, kann er nur selten mit der „Gnade“ der Zunft rechnen. J.R. Mayer, Arzt und Naturphilosoph, entdeckte vor 150 Jahren den modernen Ener­giebegriff, nachdem die klassische Mechanik bis dahin - nahezu 200 Jahre lang - mit einem „falschen“ Energiebegriff „ausgekommen“ war.

Obwohl es sich - aus heutiger Sicht unbestritten - um eine der größten Kulturleistungen handelt, an denen ein deutscher Gelehrter in vorderster Front beteiligt war, gibt es beispielsweise in München - mit drei Universitäten - keine Julius-Robert-Mayer-Straße, ob­wohl die Landeshauptstadt an vie­le, sogar „zweitrangige“, neuzeit­liche Physiker durch Straßennamen erinnert.


J.R. Mayer, Arzt und Naturphilo­soph, entdeckte vor 150 Jahren den modernen Energiebegriff, nachdem die klassische Me­chanik bis dahin nahezu 200 Jahre lang - mit einem „fal­schen“ Energie-begriff „ausge­kommen“ war.


Das angesprochene ästheti­sche Element der physikalischen Theorien wird seit den Zeiten Newtons durch mathematisch begabte Wissenschaftler und vor allem durch große Mathematiker personifiziert. Sie dominieren seit eh und je, wodurch nach Straubs Meinung eines der gra­vierenden wissenschaftstheoreti­schen Probleme der Physik ver­ständlich wird: die Bedeutung der Mathematik für die Theoreti­sche Physik! Es geht ihm dabei nicht um den hohen Grad an Zu­stimmungszwang, den die Aus­sagen der Mathematik als der „Wissenschaft von den Begrif­fen“ verlangen. Vielmehr stellt er sich die Frage, ob der Mathema­tik in ihrer unzweifelhaft zentra­len instrumentellen Funktion noch zusätzlich eine eigenständi­ge erkenntnistheoretische Be­deutung zukommt. Während bis zu Zeiten L. Boltzmanns, E. Machs und H. Poincares das ma­thematische Denken normaler­weise komplementär zum gegen­ständlich- anschaulichen Denken dazu diente, physikalische Be­griffe systematisch und logisch miteinander in Beziehung zu set­zen, gab es anscheinend bereits seit dem 17. Jahrhundert eine zweite mächtige Tradition, dem mathematischen Apparat eine eigenständige Erkenntnisfunkti­on zuzugestehen. Entlang der Entwicklungslinie, wie sie von prominenten Fachvertretern wie Ch. Huygens, J.-L. Lagrange, C. Maxwell, H. Hertz über W. Hei­senberg bis zu den Wortführern der rigorosesten aller aktuellen Ideen der mathematischen Phy­sik, der Superstring-Theorie, verläuft, wurde diese Tradition immer unverhüllter zur Ideolo­gie. H. Hertz hat sie vor 100 Jahren ausdrucksvoll umschrie­ben: „Man kommt nicht um das Gefühl herum, daß diese mathe­matischen Formeln ein Eigen­leben führen und eine eigene Intel­ligenz haben, daß sie klüger sind als wir, klüger selbst als ihre Ent­decker, daß wir mehr aus ihnen herausholen, als ursprünglich in sie hineingesteckt worden ist.“



Jährlich 100.000 neue mathematische Theoreme

W. Heisenberg, M. Born und viele andere haben dieses Credo nachhaltigst bestätigt und da­durch einen rigorosen Anspruch auf Universalismus bestätigt, der in der etablierten Lehre nur zu starker Dogmatik und zur Bil­dung steriler Rituale führen kann. Allumfassende Theorien sind dann nicht nur Forschungs­ziele, wie sie für die „Allgemeine Quantenmechanik“ zum Beispiel im Sinne von H. Primas postu­liert, für die „Große Vereinheit­lichte Theorie“ zum Beispiel von S. W. Haking gefordert und für den derzeitigen Status der Su­perstring-Theorien zum Beispiel von I. Schwarz als verbindlich er­klärt werden. Sie sind Manifesta­tionen der Überzeugung, „daß die Welt tatsächlich auf einfa­chen mathematischen Prinzipien beruht“. Dieser Glaube verkehrt sich aber auch in sein Gegenteil, was bei ungefähr 100.000 neu­en mathematischen Theoremen jährlich (!) nicht verwundern kann, jedoch in keiner Weise den zu beobachtenden wachsen­den Trend zu einer meistens kri­tiklosen Computerhörigkeit er­klärt. D. Shapiro erfand dafür den Ausdruck „neurotic style“!

Im „Glasperlenspiel“ bezeich­net Straub diese Tendenz zu ei­ner immer höheren und umfas­senden Abstraktion und zur Abkehr der mathematischen Physiker von der konkreten ex­perimentellen Basis zur Hinwen­dung zu „comparative studies of theoretical studies“ (H. Primas) als das Huygens-Hertz-Hei­senberg-Dogma (HHH-Dog­ma: 5. 71) der theoretischen Physik. Des Autors griffige For­mel von den „Paradigmata als den Lehren der Sieger“ wird im Lichte dieses Dogmas nur allzu verständlich.

Manchen der Leser wird bei der Lektüre des „Glasperlen­spiels“ ein ambivalentes Gefühl beschleichen, das zwischen Neu­gierde und Erschöpfung schwan­ken wird. Der Autor bemüht sich stets, fast ausschließlich mit sprachlichen Mitteln auszukom­men, um die begriffliche und lo­gische Sachlage seines Themas auseinanderzusetzen, ohne da­bei den grundlegenden Proble­men der modernen Physik aus dem Weg zu gehen. Sicherlich werden einige Leser den Ver­zicht auf mathematische Darstel­lungen auch als Nachteil empfin­den. Andere Leser werden Schwierigkeiten haben, sich in einem Urwald der Fachbegriffe zurechtzufinden - selbst dann, wenn immer wieder historische, wissenschaftstheoretische oder soziologische Aspekte die rein physikalischen Erörterungen auflockern, oder Teilzusammen­fassungen die wichtigsten Ergeb­nisse eines Abschnittes kompri­mieren und dadurch die ge­dankliche Mitarbeit des Lesers unterstützen.

Alle diese Schwierigkeiten sind jedoch im Gegenstand des Bu­ches begründet; dieser ist kom­plex und beide, der Autor sowie der Leser, können diesem nur mit erheblichem Aufwand an Kenntnissen, Fleiß, Ausdauer und Scharfsinn gerecht werden. Natürlich entlastet diese Feststel­lung den Autor keineswegs dort, wo es ihm offensichtlich nicht gelungen ist, sich sprachlich klar und unkompliziert auszudrücken oder seine Argumente treffender zu plazieren.


Kritische Stimmen

Die bisher bekannt gewordenen Reaktionen auf dieses Buch zei­gen, daß der persönliche Ge­schmack sowie weitaus mehr der berufliche und weltanschauli­che Hintergrund des Lesers des­sen Urteil extrem beeinflußt. Es fällt auf, daß die Kritiken alle er­heblich emotional gefärbt sind und in jedem Einzelfall mehr über die Betroffenheit des Kritikers als über Defizite oder Meri­ten des Buches aussagen. Unter anderem wird dem Autor vorge­halten, „er sei sich nicht in genü­gendem Maße bewußt, auf wie schwachen Füßen die Darlegung der Gruppe um I. Prigogine zur Bedeutung der Irreversibilität für die Mikrophysik stehe“. Leider fehlt auch der geringste sachli­che Hinweis, warum der Kritiker die Theorien des belgischen No­belpreisträgers für offensichtlich unzulässige „Spekulationen“ hält. Beim Leser versucht er dafür den Eindruck zu erwecken,

Dieter Straubs „Bewußtseinstrü­bung“ wäre für eine nicht ausrei­chende Behandlung der Irre­versibilitätsproblematik verant­wortlich, obwohl das „Glasper­lenspiel“ eine ungewöhnlich aus­führliche (jedenfalls im Vergleich zur Fachliteratur) und sachge­rechte Würdigung auch der neu­esten Untersuchungen Prigogi­nes und seiner Gruppe zur Quantentheorie enthält.

Ein weiterer Kritiker, der die wesentlichen Anliegen des Au­tors deutlich herausstellt, rastet beim Thema „deterministisches Chaos“ regelrecht aus. Der Grund dafür sind die Feststellun­gen Straubs, daß die neuen nu­merischen Methoden, die von E. Adams und Mitarbeitern (unter teilweise Mitwirkung von Dieter Straub) unter der Bezeichnung „Enclosure Methods“ entwickelt wurden, alle bislang publizierten prominenten Lösungen der für die modische Chaostheorie rele­vanten gewöhnlichen Differen­tialgleichungen falsifizieren. Das Verfahren von Adams schließt dabei die korrekte Lösung unter Benutzung der Intervallarithme­tik von U. Kulisch u.a. innerhalb eines problemspezifischen Inter­valls garantiert ein. Damit zeigt der Autor, daß zum Beispiel auch die in der breiten Öffent­lichkeit bekannten „chaoti­schen“ Lösungen der Lorenz-Gleichungen falsch sind' un­glücklicherweise sind solche „falschen“ Lösungen mit den üb­lichen numerischen Rechenver­fahren (z.B. Runge-Kutta-Ver­fahren höherer Ordnung) be­liebig genau reproduzierbar.

Gegenüber den wahren Lösun­gen weichen sie oft drastisch ab, wofür es verschiedene Ursachen gibt: neben „Computerchaos“ treten grundlegende, bislang un­bekannte „fremde“ Lösungen auf, die in der Numerik selbst an­gelegt sind. Dieser dargelegte Sachverhalt muß natürlich vor al­lem zahlreichen Interpreten der bislang von der Scientific Com­munity so enthusiastisch begrüß­ten Chaoslösungen nichtlinearer Modellgleichungen ungelegen sein. Ihre oft zu den aben­teuerlichsten Schlußfolgerungen führenden Darlegungen der Cha­ostheorie sind dann fast aus­nahmslos nicht mehr zu halten. Die wenigen Ausnahmen bele­gen, daß es wichtige physikali­sche Systeme mit chaotischem Verhalten tatsächlich gibt; diese sind jedoch bezeichnenderweise nur wenigen Fachleuten bekannt. Für den Rummel, mit dem die „Chaostheoretiker“ die breite Öf­fentlichkeit unterhalten haben, spielen diese jedoch keine Rolle.


Eine Streitschrift

Wenn sich also ein in seiner Hoff­nung beraubter Chaos-Adept über solche Enthüllungen im Glasperlenspiel ärgert, so äußert demgegenüber dazu ein dritter Kritiker volle Zustimmung zu Straubs Skepsis gegenüber den Chaos-Glasperlenspielern.

Gleichzeitig beklagt dieser jedoch, daß ihm der Autor seine schöne Scheinwelt der Boltzmannschen Gaskinetik durcheinander brach­te. Die Mikrowelt aus Partikeln und Flugbahnen und Stößen und... scheint diesem Kritiker wie den Graugänsen von K. Lorenz dermaßen irreversibel eingeprägt, daß sich ihm die Chancen einer realistischen Weltanschauung und ihre quantitative Erfassung für die eigene berufliche Tagesarbeit nicht eröffnen. Die bisher bemer­kenswerteste Kritik wurde meines Erachtens von einem Nicht-Na­turwissenschaftler verfaßt, der sich vor allem auf das Anliegen des Autors bis in relevante Details einläßt; er tituliert das Glasperlen­spiel eine nicht leicht zu lesende Streitschrift, die jedoch der wirk­lich an den Grundproblemen neu­zeitlicher Physik interessierte Le­ser schwerlich übergehen kann. Gleichzeitig wird Straubs Äuße­rung eindrucksvoll bestätigt, wo­nach zum Verständnis des Bu­ches kein spezielles Fachwissen erforderlich ist, sondern Wissen und Interesse ausreichen.

Diese Kritiker-Beispiele bele­gen zum einen die objektiven Schwierigkeiten, die auch Fach­leute mit dem „Glasperlenspiel“ haben. Zum anderen verweisen sie aber auf das breite Spektrum der wissenschaftlichen Probleme, die in diesem Buch angeschnitten und unter dem Aspekt des HHH-Dogmas diskutiert werden.


Absurde Dispute

Am Beispiel der Thermodynamik und Strömungsmechanik, der Quantentheorie, der Kosmologie und der Chaostheorie zeigt der Autor anhand einer am Begriff der Irreversibilität orientierten Wirklichkeitsvorstellung typische „Verdrängungsmechanismen“.

Sie führen dazu, daß jegliche Dis­krepanzen zwischen Theorien und empirischen Fakten in der vom Huygens-Hertz-Heisenberg-Dogma beherrschten Physik oft bis zur Absurdität wegdiskutiert, als Paradoxien „geadelt“ werden. Die zynische Variante lautet lapi­dar: umso schlimmer für die Fakten"! In dem mit dem poeti­schen Titel „Le bel aspect“ verse­henen Abschnitt demonstriert der Autor eine für den unvoreinge­nommenen Leser nachvollziehba­re Auflösung des Dilemmas zwi­schen den Vorhersagen der bekannten Ungleichung von J. Beil und den quantenmechani­schen Experimenten von A. As­pect et al.; der Leser wird sich mit großem Vergnügen in den teil­weise absurden Disput zwischen diesen Kontrahenten und ihren Mitstreitern einbeziehen.

Der Autor behandelt aber nicht nur die Auswirkungen die­ser Glasperlenspiele auf die Phy­sik und ihre Problemgeschichte. Er diskutiert auch eingehend die „richtigen“ Lösungen, d.h. die realistischen Theorien, die die tiefliegenden konstruktiven Mög­lichkeiten dissipativer Strukturen zum Ausdruck zu bringen.
Es scheint für die in der Tradi­tion geschulten Naturwissen­schaftler schockierend zu sein, wenn sie erkennen müssen, daß die Einbeziehung der Irreversibi­lität die mathematische Struktur der Quantentheorie grundle­gend verändert; so verliert z.B. M. Borns statistische Interpreta­tion der quantenmechanischen Wellenfunktion ihre bekannte physikalische Bedeutung.

Der Autor beschreibt auch die weitreichende historische Dimen­sion der antiken Teilchenvorstel­lungen über den oft mißverstan­denen Partikelbegriff bei 1. Newton bis zur entscheidenden Tat, der Einführung des mathe­matischen Massenpunkts durch L. Euler im Jahre 1838. Durch sie wurde das mechanistische Weltbild Teil der abendländischen Kultur. In der theoretischen Phy­sik wurde es durch die Hamilton-Jacobische Theorie nicht nur for­malisiert, sondern als Kanon des HHH-Dogmas verankert. Dessen erstes Opfer war die aus der zeit­genössischen Dampfmaschinen­technik entstandene Carnot-May­ersche-Thermodynamik. In einer beispiellosen Allianz zwischen den Vertretern der etablierten Lehre und der Humboldtschen Universitätsprofessoren wurde diese an den Realitäten orientier­te nichtmechanische wissen­schaftliche Disziplin „mechani­siert“; sie wurde in die „Mechanische Wärmetheorie“ verwandelt. An diesem Beispiel zeigt der Autor, wie die beiden, von ihm als besonders ein­flußreich eingestuften Faktoren, die Formalisierung der Theorie durch ästhetisierende Mathematik und der Konsens innerhalb der Scientific Community, eine für den technischen Fortschritt und das öffentliche Wohl entscheiden­de wissenschaftliche Entwicklung behinderte. Diese in der „Mecha­nischen Wärmetheorie“ zum Aus­druck kommende intellektuelle Haltung ist heute noch mitbestim­mend für die Leitideen in den konzeptionell einflußreichsten Teildisziplinen der Theoretischen Physik, in den Quanten- und Rea­litätstheorien.


Thesen des Buchautors

Besonders deutlich wird dieses eminente Ergebnis einer 200-jährigen zivilisatorischen Ent­wicklung aus der kompakten Schilderung der Problematik, die sich aus der Sicht des Autors für die vorherrschenden Raum- und Zeitvorstellungen in der moder­nen Physik ergeben. Die beiden betreffenden Kapitel 6 und 7 enthalten - in einem die Meinun­gen ohnehin eher polarisieren­den Buch - vermutlich die „un­geschütztesten“ Vorstellungen des Autors.

Die Ergebnisse seiner Analyse sind jedoch so bemerkenswert, daß es angezeigt ist, sie wie folgt zusammenzufassen:

(1) Gegenüber der „naiven“ abso­luten Raum- und Zeitvorstellung bei I. Newton und I. Kant hat die moderne evolutionäre Erkennt­nistheorie einen tiefgreifenden Bedeutungswandel bewirkt: die Orientierung per Raum- und Zeitkoordinaten entspricht den evolu­tionären Bedingungen und Anfor­derungen: sie sind keine physikalischen Größen, sondern sie dienen zur Projektion der rea­len physikalischen Zusammen­hänge vom Zustandsraum in den „Überlebensraum“.

(2) D. Humes Induktionsverbot für die reale Welt gilt unvermin­dert fort. Die Konsequenz für die Wissenschaften besteht darin, daß die linear affine Zeit als Pro­zeßparameter niemals zu Glei­chungen führen kann, mit denen sich sichere Prognosen erstellen lassen; dieser Schluß gilt auch für Wahrscheinlichkeitsaussagen. Dennoch müssen sie in Form von Extrapolationen gewagt werden: in Abwandlung eines Wortes von K. Popper gilt: „Wir wissen nicht, wir müssen raten“.

(3) Als Folge von (2) sagen Glei­chungen, die gegenüber Zeitumkehr invariant sind, nichts darüber aus, ob z.B. reale Wechselwirkungen zwischen Mikroteilchen reversibel ablau­fen oder nicht. Auf der betref­fenden Beschreibungsebene stellt sich dementsprechend der Zeitpfeil irreversibler Prozesse als notwendiger Anthropomor­phismus heraus (s.S. 184).

Vor allem für die Kosmologen sind diese Thesen im Hinblick auf ihr Paradigma vom Urknall und den damit verbundenen Extrapo­lationen über riesige „zeitliche“ Größenordnungen brisant. Nach­denkenswert sind sie allemal; zu­mal in den Kapiteln 6 und 7 der Autor scheinbar in die Rolle eines magister ludi schlüpft und selbst ein Glasperlenspiel inszeniert!



An diesem Buch scheiden sich die Geister

Insgesamt gesehen wird sich die Leserschaft unweigerlich in zwei Lager spalten: Solche, die sich dem Anliegen des Autors generell anschließen werden, und solche, die seine Thesen rundweg oder teilweise ablehnen. Größer wird jedoch die Nichtleserschaft sein, die keinen Zugang zu der gesam­ten Darstellung finden kann. Die Gründe dafür sind vielfältig: nicht nur, daß das Verständnis der Sachverhalte erhebliche Kennt­nisse verlangt, Interesse an der Problematik vorausgesetzt wer­den muß, um überhaupt die erfor­derliche Konzentration auf einen solch dicht geschriebenen Text aufbringen zu können. Die wirk­lich facettenreiche Darstellung der Problematik bezieht auch zahlreiche historische Aspekte und wissenschaftliche Argumente mit ein, die für einige Leser von geringem Interesse sein mögen.

Die verarbeitete Literatur und die vielen Zitate aus den verschie­densten Gebieten weisen zwar den Autor als außerordentlich be­lesen aus, erschweren jedoch oft die Lektüre, wenn auch anderer­seits konstatiert werden muß, daß ohne diese breite Erörterung das Buch von den „Fachleuten“ kaum ernst genommen würde.

In nahezu willkürlicher Rei­henfolge können die Kapitel des Buches gelesen werden. Es gibt vielfache Zugänge und Betrach­tungen der zentralen Problema­tik. Diese Darstellungstechnik hat ihre Stärken aber auch ihre Schwächen, vor allem im Hin­blick auf die tradierten Gewohn­heiten der meisten Leser. Läßt man sich jedoch auf des Autors „postmoderne“ Darstellung ein, so gewinnt man viel leichter ei­nen sicheren Zugang zum kom­plexen Hauptanliegen als Folge unterschiedlicher und wechseln­der Betrachtungsweisen. Man empfindet dann seltsamerweise die vielen Zitate sowie die zahl­reichen Anmerkungen und Fuß­noten eher als Bereicherung denn als Störung beim gewohn­ten flüssigen Lesen.

Es bleibt natürlich Geschmacks­sache, ob man sich mit dem sehr persönlichen Stil des Autors an­freunden will oder nicht; es ist auch nicht auszuschließen, daß stilistische Manierismen man­chem Leser die Lektüre bald ver­leiden. Dennoch - und trotz eini­ger anscheinend unvermeidbaren Druckfehler - „wird das Buch vie­le kontroverse Diskussionen aus­lösen, doch auch das ist ein Teil des Glasperlenspiels“.



Das Buch

Dieter Straub: „Eine Geschichte des Glasperlenspiels. Irreversibilität in der Physik: Irritationen und Folgen.“ 306 Seiten, Birkhäu­ser-Verlag 1990; Boston, Ber­lin; Reihe Wissenschaft und Kul­tur Band 38.


Der Buchautor


Der 1934 in Karlsruhe geborene Prof. Dr. Ing. Dieter Straub hat eine beachtenswerte wissenschaft­liche Laufbahn hinter sich:
1960 - 1961: Forschungsassistent am Institut für Thermodynamik und Kältetechnik der TU Karlsruhe.
1964: Promotion über die „Theorie der Korrespondenz­prinzipien für thermische Eigenschaf­ten von Fluiden“.
1965: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Thermodynamik und Kältetechnik der TU Karlsruhe. Gründung einer Arbeitsgruppe mit Dr. Ing. K. Rombusch für die theoretische und experimentelle Erforschung thermischer und kalorischer Eigenschaften von Gasen und Gasmischungen.
1965 - 1969: Lehrtätigkeit als wissenschaftlicher Assistent an der TU Karlsruhe.
1969 - 1971: Wissenschaftliche Arbeit im Rahmen des DFG-Forschungsprogramms über „Realgasströmun­gen“, zusammen mit dem Institut für Angewandte Mathematik der TU Karlsruhe.
1971: Habilitation über „Exakte Gleichungen Transport­koeffizienten eines Fünfkomponen­tengemischs als Modellgas dissozierter Luft“, Fakultät für Industriechemie der TU Karlsruhe.
1971 - 1973: Angestellt als Wissenschaftler an der Deutschen Forschungs- und Versuchs­anstalt für Luft- und Raumfahrt e. V., Köln-Wahn (DFVLR), Fakultät für Allgemeine Raum­fahrtsprojekte. Leiter des Bereichs „Aerodynamik, Thermodynamik und Flugtechnik“ in der GfW- (Gesellschaft für Wiedereintrittstheorie)  Abteilung für Raumfahrts­technik. Wissen­schaftliche Leitung und Organisation des Forschungs-Projektes „Wiedereintrittstechnologie“ im Rahmen des Deutschen Raumfahrt-Programms.
1973: Bearbeitung zusätzlicher Aufgabengebiete dieses Arbeitskreises zur Reorganisation der gesamten Forschungsgesellschaft.
Von 1974 bis heute: Professor für Thermodynamik und Wärmeübertragung an der Fakultät für Luft- und Raumfahrttechnik an der Universität der Bundeswehr, München.
Seit 1974 beschäftigt sich das Institut hauptsächlich mit den Problemen aus dem Bereich der Thermofluid­dynamik. .



Prof. Dr. Ing. Dieter Straub






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