Außenseiter der
Naturwissenschaft
Wissenschaftshistorische und
wissenschaftssoziologische Untersuchungen
sowie Fallstudien aus
dem Bereich der Gegenwart
Dissertation
zur
Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der
Grund- und
Integrativwissenschaftlichen Fakultät der
Universität
Wien
eingereicht von Reinhard Schlögl
Wien, im
Mai 1992
Abstract:
SCHLÖGL, R.: "Außenseiter
der Naturwissenschaft
Wissenschaftstheoretische und
wissenschaftssoziologische Untersuchungen
sowie Fallstudien aus
dem Bereich der Gegenwart."
Die Analyse der Wissenschaftsgeschichte zeigt immer wieder, daß außergewöhnliche wissenschaftliche Leistungen von Außenseitern erbracht wurden. Als "klassische" Außenseiter der Physik gelten zum Beispiel der Buchbinder M. Faraday, der Bierbrauer J. Joule und der Arzt J. R. Mayer. Weitere historische Beispiele wurden den Gebieten Chemie, Astronomie und Biologie entnommen. Der Autor hat versucht, auf Grund der Analyse biographischer Details jener Außenseiter, die Eingang in die Wissenschaftsgeschichte gefunden haben, eine Basis für die Bewertung von Außenseitern der Gegenwart zu gewinnen. Es wird das Ergebnis umfangreicher Recherchen vorgelegt, die sich auf die derzeitigen "alternativen Hauptströmungen" im deutschsprachigen Raum beziehen. Im Rahmen ausführlicher Fallstudien wird auf die Forschungstätigkeit der Physiker G. Barth, S. Marinov, V. und W. Schauberger sowie des Ethologen und Philosophen H. Hass eingegangen. Es zeigt sich, daß es für Außenseiter heutzutage zwar viel schwieriger ist als noch vor wenigen Jahrzehnten, Anerkennung seitens der etablierten Wissenschaft zu finden, daß aber auch heute noch viele Außenseiter imstande sind, wertvolle Beiträge zur Wissenschaft zu leisten. Da das Phänomen der Außenseiter in der Wissenschaft sozusagen nur der Schatten des großen Außenseiterproblems ist, erhebt sich die Forderung an die etablierte Wissenschaft, ihren Außenseitern gegenüber ein höheres Maß an Toleranz als bisher entgegenzubringen; gemeint ist Toleranz im Sinne von Verstehensbereitschaft, was nicht mit genereller Akzeptanz jeder Art von Abweichung gleichzusetzen ist.
"AUSSENSEITER DER NATURWISSENSCHAFT"
von
Reinhard Schlögl
VORWORT
Die erste Anregung zur Behandlung dieses Themas
erhielt ich seitens meiner beruflichen Tätigkeit[1] während
eines Gesprächs im Anschluß an ein Rundfunkinterview über
Astrophysik, das ich mit dem theoretischen Physiker Univ. Prof. Roman
Sexl im Jahr 1987 führte. Sexl erwähnte damals, daß
er in regelmäßigen Abständen von den verschiedensten
Außenseitern der Physik kontaktiert und mit deren zum Teil
recht "abenteuerlichen" Ideen und Theorien konfrontiert
werde. Das Spektrum solcher Außenseiter reiche, so berichtete
er, von Konstrukteuren verschiedenartigster Perpetuum Mobiles bis zu
unermüdlichen Kämpfern gegen den Zweiten Hauptsatz der
Wärmelehre und fanatischen Gegnern der Relativitätstheorie.
Sexl erzählte, daß ihn das Thema "Außenseiter
der Wissenschaft" aus verschiedenen Gründen mehr und mehr
zu interessieren beginne - nicht zuletzt deshalb, weil doch hin und
wieder originelle und interessante Denkansätze auftauchten. Er
überreichte mir einen kleinen (dreiseitigen) Aufsatz, den er
über dieses Thema unter dem Titel "Außenseiter der
Naturwissenschaften" verfaßt hatte[2].
Dieses
Gespräch war für mich sozusagen der erste Anstoß für
die Gestaltung einer vierteiligen Sendereihe zu diesem Thema im
Rahmen des "Radiokolleg". Sie trug den Titel "Außenseiter
der Wissenschaft - Phantasten oder Wegbereiter neuen Denkens?"
und wurde vom 21.- 24. März 1988 im 1. Programm des Hörfunks
gesendet. Diese Reihe fand übrigens, so zeigten viele
schriftliche und telephonische Reaktionen, überraschend großes
Interesse bei der Hörerschaft und auf Grund dieses starken Echos
kam es sowohl zu etlichen (teils persönlichen) Kontakten mit
Vertretern "etablierter" Wissenschaft, als auch mit einigen
Außenseitern. Dies führte zu einer immer stärkeren
Vertiefung meines Interesses an diesem Thema, und eines Tages
entschloß ich mich schließlich dazu, Herrn Univ. Prof.
Erhard Oeser, den Vorstand des Institutes für
Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsforschung der Wiener
Universität zu bitten, unter seiner Betreuung die vorliegende
Dissertation ausarbeiten zu dürfen. So konnte ich auch mein vor
vielen Jahren unterbrochenes Studium der Philosophie,
Wissenschaftstheorie und Physik fortsetzen und zu einem Abschluß
bringen.
Ein wesentliches Ziel dieser Arbeit ist es, zu einer
Klärung des Phänomens "Außenseiter der
Wissenschaft" am Spezialfall der Naturwissenschaft beizutragen.
Immer wieder ist festzustellen, daß außergewöhnliche
wissenschaftliche Leistungen von Außenseitern erbracht wurden
und häufig hört man auch die Ansicht, daß jede echte
Neuerung, jede geniale Idee, Hypothese oder Theorie zwangsläufig
von einem Außenseiter geschaffen wird, weil, wie es heißt,
nur er den Mut besitzt, die Grenzen der Wissenschaft zu
überschreiten. Daß davon nicht im entferntesten die Rede
sein kann, wird in Zusammenhang mit der Klärung des recht
vieldeutigen Begriffes "Außenseiter" schon sehr bald
gezeigt werden.
Diese Arbeit soll auch demonstrieren, daß
das Phänomen "Außenseiter der Wissenschaft", wie
Univ. Prof. Herbert Pietschmann einmal sagte, "nur der Schatten
des großen Außenseiterproblems" ist und ich will
zeigen, daß das vorschnelle Akzeptieren jedes neuen,
originellen Außenseiter-Gedankens ebenso falsch ist, wie dessen
schroffe Ablehnung; was letztlich zur Konsequenz haben soll, daß
die Grundhaltung der etablierten Wissenschaft ihren Außenseitern
gegenüber eine Einstellung maßvoller Toleranz sein sollte.
Was ja nicht immer der Fall ist.
Im Zuge meiner
Nachforschungen stellte ich fest, daß (mit ganz wenigen
Ausnahmen) bisher weder das Thema "Außenseiter der
Wissenschaft" allgemein, noch der Spezialfall "Außenseiter
der Naturwissenschaft" in der Literatur ausreichend bzw.
explizit behandelt worden war. Auf Grund des spärlichen
schriftlichen Materials zu entsprechenden
wissenschaftssoziologischen, psychologischen und anderen, das Thema
betreffenden Fragen, sah ich mich gezwungen, häufig zu Quellen
zu greifen, die bislang noch als "unorthodox" galten: zu
Rundfunkaufzeichnungen bzw. Tonbandabschriften von Interviews, die im
Rahmen von Hörfunksendungen Verwendung gefunden haben. Da der
Zugriff zu diesen Quellen auf mehrfache Weise möglich ist, zum
Beispiel über die Schallarchive des Österreichischen
Rundfunks, der (dem Bundesministerium für Wissenschaft und
Forschung unterstehende) "Österreichischen Phonothek"
oder der "Zentralbibliothek für Physik in Wien",
handelt es sich um nachprüfbares, also wissenschaftlich
legitimes Quellenmaterial. Zum Teil existieren zusätzlich zu den
Sendebändern auch noch Protokollabschriften.
Im Zuge
meiner rund vierjährigen Arbeit an diesem Thema lernte ich viele
bedeutende und bemerkenswerte Menschen kennen und lernte vor allem,
mich völlig vorurteilslos mit mir unbekannten Inhalten
auseinanderzusetzen. Meine Recherchen speziell jene für das
dritte Kapitel dieser Arbeit, das der Gegenwart gewidmet ist -
führten mich häufig nach Deutschland, speziell nach
München, wo ich äußerst informative Gespräche
mit dem mittlerweile verstorbenen Physiker Dr. Walter Theimer, dem
Physiker Dipl. Ing. Ekkehard Friebe vom Deutschen Patentamt, dem
Chemiker Dr. Werner Sachsze und noch vielen anderen in dieser Arbeit
behandelten Persönlichkeiten führte.
Ich nahm als
Beobachter am "Internationalen Kongreß für
Relativität und Gravitation" in München (1988) teil,
besuchte für mehrere Tage den Physiker und Philosophen Gotthard
Barth in seinem "Haus Bradley" in Zwingendorf nahe der
tschechischen Grenze; ich besuchte auch die "PKS" , die
"Pythagoras-Kep1er-Schule" des Wasserforschers Walter
Schauberger in Engleithen bei Bad Ischl und ich stattete dem Physiker
Stefan Marinov einen Besuch in seinem Grazer "Institut für
Fundamentale Physik" ab. Angeregt durch ein Gespräch mit
Prof. Oeser kam es auch zu regem Gedankenaustausch mit Dr. Franz
Stuhlhofer nach der Lektüre seines Buches "Lohn und Strafe
in der Wissenschaft", auf das im Rahmen dieser Arbeit mehrfach
eingegangen wird und es kam auf Grund einer Intervention von Prof.
Oeser auch zu regem Kontakt mit dem Meeresforscher und Ethologen
Prof. Dr. Hans Hass. Seiner Person und der von ihm geschaffenen
"Energontheorie" habe ich einen umfangreichen Abschnitt im
Rahmen der vorliegenden Arbeit gewidmet.
Um das ohnehin schon
sehr umfangreiche Thema nicht noch weiter ausufern zu lassen, habe
ich mich dazu entschlossen, das von Univ. Doz. Gerhard Schwarz
angedeutete Problem des "Ausklammerns ganzer Kulturkreise"
(daß man also größere Populationen durch Ablehnung
ihres Gedankengutes quasi zu Außenseitern erklärt) in
dieser Arbeit ebenso unberücksichtigt zu lassen, wie all jene
Fragen, die mit dem Problemkreis "Frauen in der Wissenschaft"
zusammenhängen. Es geht hier also in erster Linie um den
Außenseiterbegriff in bezug auf Einzelpersönlichkeiten und
nicht in bezug auf soziologische Gruppen.
Die
Wissenschaftsgeschichtsschreibung kennt viele berühmte
Außenseiter oder besser: bedeutende Wissenschafter, die häufig
aus verschiedensten Gründen als Außenseiter klassifiziert
werden. An dieser Stelle seien beispielhaft etwa die Namen Faraday,
Einstein, Joule, Chladni, Mayer oder Wallace genannt. Da die Gründe
dafür, daß ein Forscher als Außenseiter eingestuft
wird, äußerst vielfältig sind, war es zunächst
notwendig, im ersten Kapitel den äußerst vielschichtigen
Begriff "Außenseiter" zu analysieren. Im Anschluß
daran, geht es darum, charakteristische Kennzeichen, die zumindest
einigen Außenseitern anhaften, zu bestimmen. Im
Einleitungskapitel werden aber zum Beispiel auch grundlegende
wissenschaftssoziologische Fragen und ethologische Parallelen
behandelt.
Im zweiten Kapitel, dem historischen Teil,
versuche ich, auf Grund biographischer Details einiger herausragender
Außenseiter, die durch ihre Leistungen in die
Wissenschaftsgeschichte eingegangen sind, psychologische,
soziologische und andere Aspekte aufzuzeigen, um so einen Beitrag zu
einer erweiterten Bewertung von "Außenseitern der
Gegenwart" liefern zu können.
Die Beispiele aus der
Wissenschaftsgeschichte wurden aus den Bereichen der Physik, Chemie,
Astronomie und Biologie gewählt.
Neueste, bisher
weitgehend unbekannte, weil kaum veröffentlichte
Forschungsergebnisse wurden im Abschnitt über Joseph Loschmidt
berücksichtigt, wobei es um die Tatsache geht, daß
Loschmidt zwar als Physiker höchste Anerkennung gefunden hat,
aber als Begründer der modernen Strukturchemie bisher völlig
übersehen, missachtet und (im negativen Sinne des Wortes) als
"Außenseiter der Chemie" eingestuft worden war. Im
Kapitel Gegenwart lege ich das Ergebnis umfangreicher Recherchen vor,
die sich auf die derzeitigen "alternativen Hauptströmungen"
im deutschsprachigen Raum beziehen. Weiters wird aufgezeigt, welche
"Außenseitergemeinschaften" in Deutschland,
Österreich und der Schweiz zur Zeit existieren, welche Ziele
verfolgt werden, welche Kommunikationsformen praktiziert werden und
mit welchen (zum Teil recht originellen) Methoden Außenseiter
versuchen, auf ihre wissenschaftlichen Bemühungen aufmerksam zu
machen.
In einem persönlichen Gespräch mit dem
ehemaligen Präsidenten des "Fonds zur Förderung der
wissenschaftlichen Forschung" Univ. Prof. Kurt Komarek erfuhr
ich, daß diese Institution auch die Forschungen einiger echter
Außenseiter finanziell fördert; dies kommt ebenfalls im
dritten Kapitel dieser Arbeit zur Sprache.
Sodann gehe ich im
Rahmen ausführlicher Fallstudien auf fünf in Osterreich
lebende, namhafte Außenseiter ein: auf den Physiker und
Philosophen Gotthard Barth, die "Wasserspezialisten" Viktor
und Dipl. Ing. Walter Schauberger, den Physiker Stefan Marinov und
schließlich auf Prof. Dr. Hans Hass, der hier insofern eine
Sonderstellung einnimmt, als er nur zu einem Teil seiner
wissenschaftlichen Persönlichkeit eine Außenseiterposition
innehat.
Im letzten Kapitel werden schließlich Fragen
der "anderen Sprache" vieler Außenseiter und die
Themen der "Toleranz" und der "Gerechtigkeit des
Systems Wissenschaft" behandelt.
Während des
Verfassens dieser Dissertation lernte ich unter der fürsorglichen
Anleitung von Prof. Erhard Oeser und Doz. Gerhard Schwarz, von denen
ich stets wertvolle Anregungen erhielt, mich bei einem derart
komplexen Thema nicht zu sehr zu verlieren, welche grundlegende
Systematik zu befolgen, und welche "große Bögen"
zu beachten waren.
Große Unterstützung erfuhr ich
auch durch die Herren Univ. Prof. Herbert Pietschmann, Univ. Prof.
Rupert Riedl, Univ.Prof. Herbert Ballczo, Univ.Prof. Erwin Ringel,
Dr. Alfred Bader, Univ.Prof. Christian Noe, weiters durch Univ.Prof.
Kurt Komarek und Univ. Prof. Helmut Rauch seitens des "Fonds zur
Förderung der wissenschaftlichen Forschung" und in jüngster
Zeit durch Prof. Dr. Hans Hass. Ihnen allen möchte ich an dieser
Stelle meinen herzlichsten Dank aussprechen.
Bedanken will
ich mich auch ganz herzlich bei Dipl. Ing. Melitta Kimbacher vom
Rechenzentrum der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
und bei Dipl. Ing. Martin Stiftinger vom Institut für
Mikroelektronik der Technischen Universität Wien für die
große Unterstützung meiner Arbeit auf Grund ihrer
außerordentlich wertvollen Hilfeleistungen bei der Lösung
aller Probleme der Datenverarbeitung; danken will ich weiters meinen
lieben Freunden Gotthard Barth und Gabriele Bösch, ohne deren
moralische, sachkritische und liebevolle Unterstützung ich nicht
imstande gewesen wäre, "meinen Weg" zu finden.
Innigst danken möchte ich aber vor allem meiner
geliebten Mutter, die zeitlebens unendliche Geduld mit ihrem
"Spätentwickler" hatte, sowie meinem Vater, der leider
nur ein ganz kurzes Stück meines Weges mit mir gemeinsam gehen
konnte.
[1] Seit dem Jahre 1974 bin ich als
Wissenschaftsjournalist tätig; anfangs als freier Mitarbeiter
bei der Tageszeitung Kurier und verschiedenen Fachzeitschriften für
Elektronik; seit 1976 arbeite ich als Wissenschaftsredakteur des
Österreichischen Rundfunks in der "Hauptabteilung
Wissenschaft". Ich bin als Gestalter bzw. Autor folgender
Sendereihen tätig: "Das Salzburger Nachtstudio",
"Dimensionen - die Welt der Wissenschaft", und
"Radiokolleg".
[2] R. Sexl (1974): "Außenseiter
der Naturwissenschaften" in: "Physikalische Blätter",
30.Jg., Heft 1
Auskunft erteilt:
Ekkehard
Friebe