VII. Quantentheorie


FRIEBE, E. (1984): "Gibt es einen experimentellen Beweis für die Max Planck zugeschriebene Formel E  =  h · ny ?", DPG-Didaktik-Tagungsband 1984, S. 548 - 553. Hrsg.: Prof. Dr. Wilfried Kuhn, Gießen


Gibt es einen experimentellen Beweis für die MAX PLANCK zugeschriebene Formel E = h · ny ?

Ekkehard FRIEBE (Deutsches Patentamt, München)

Aufbauend auf Untersuchungen von P. LENARD (1902) entwickelte ALBERT EINSTEIN (1905) eine theoretische Deutung des photoelektrischen Effektes. Hiernach besteht das Licht aus diskreten "Licht-Quanten", deren Energie frequenzproportional ist. Diese Aussage soll im folgenden als "Lichtquantenhypothese" bezeichnet werden. Sie hängt eng zusammen mit der nachstehenden, MAX PLANCK zugeschriebenen Formel:

(1)                                              E = h · ny

Dabei ist nach der Lichtquantenhypothese E die Energie eines Lichtquants, ny die Frequenz des eingestrahlten Lichtes und h das PLANCK-sche Wirkungsquantum (Dimension: "Energie · Zeit").

Da in der letzten Zeit von mehreren Autoren (FORMAN / von MEYENN 1984, BAUMANN / SEXL 1983, SELLERI 1983, WESLEY 1983, GUT 1983, JAMMER 1974) Mängel der Quanten-Theorie, die auf der Beziehung (1) basiert, aufgezeigt werden konnten, erscheint eine kritische Überprüfung dieser Beziehung angebracht.

In seiner Arbeit von 1902 untersucht LENARD das Verhalten einer Photozelle bei Bestrahlung mit Licht verschiedener Intensität und Art. Wird zwischen Photokathode und Photoanode der Zelle, die selbst an keine elektrische Spannungsquelle angeschlossen ist, ein elektrisches Meßgerät angelegt, so mißt man bei Bestrahlung mit verschiedenartigem Licht einen Photostrom, der sowohl von der Intensität als auch von der Frequenz des Lichtes abhängt. Wird jedoch der Photostrom durch Anlegen einer elektrischen Gegenspannung zum Verschwinden gebracht (Kompensations-Meßmethode), so erhält man eine Spannung der Photozelle, die der Lichtfrequenz direkt proportional aber von der Lichtintensität unabhängig ist.

LENARD (1902) spricht bei seinen Meßergebnissen nicht von elektrischen Spannungen der Photozelle, sondern von "Anfangsgeschwindigkeiten" der ausgelösten "Elektrizitäts-Quanten", wobei diese Geschwindigkeiten in "Volt" angegeben werden. Er stellt fest (LENARD 1902, § 25): "Die Anfangsgeschwindigkeiten sind unabhängig von der Lichtintensität"

Dabei ist für die Anfangsgeschwindigkeit folgende Gleichung zugrunde gelegt (vgl. LENARD 1902, S. 164, Fußnote 2):

(2)                                              v² = 2 · P · (e/m) · 10ª

Hierin ist v die Geschwindigkeit der "Elektrizitäts-Quanten" in cm/sec und P die durchlaufene Potentialdifferenz in Volt. Der Ausdruck e/m ist das Verhältnis zwischen Quantenladung und Quantenträgheit (Der Proportionalitätsfaktor 10ª mit a = 8 ist durch das elektrostatische Maßsystem bestimmt).

Der Gleichung (2) liegen folgende Beziehungen zugrunde:

(3)                                              E1 = (½) · m · v²
(E1 = kinetische Energie eines Teilchens mit der Masse m und der Geschwindigkeit v )

(4)                                              E2 = e · P · 10ª
(E2 = potentielle Energie einer Elementarladung e bezogen auf die Potentialdifferenz P; auch hier ist der Proportionalitätsfaktor 10ª mit a = 8 durch das elektrostatische Maßsystem bestimmt)

Gleichsetzen der beiden Energien E1 und E2 führt auf die Beziehung (2).

Es gilt nun zu untersuchen, inwieweit es zulässig ist, eine elektrische Spannung bzw. Potentialdifferenz als die "Geschwindigkeit" und damit als die "kinetische Energie" einer Elementarladung zu interpretieren.

Wird ein Elementarteilchen der Ladung e infolge Durchlaufens der Potentialdifferenz P beschleunigt, so wird im allgemeinen Falle nicht die ganze potentielle Energie nach Glg. (4) in kinetische Energie gemäß Glg. (3) umgesetzt. Denn auch dann, wenn kein äußeres elektrostatisches Feld angelegt wird, in dem eine Potentialdifferenz P durchlaufen werden kann, verbleibt das Eigenfeld der Elementarladung (elektrostatische Anziehung zwischen Ladung und Gegenladung gemäß dem COULOMB-schen Gesetz).

Solange Ladung und Gegenladung einen endlichen Abstand besitzen, herrscht deshalb eine endliche elektrostatische Anziehung zwischen beiden Ladungen, die einer potentiellen Energie bezogen auf den Abstand entspricht. Wird also eine Elementarladung in einem elektrostatischen Feld beschleunigt, so muß in jedem Falle gesondert überprüft werden, welche Geschwindigkeit und damit kinetische Energie tatsächlich von der Elementarladung erreicht wird. Die verbleibende Energie ist potentielle Energie, wenn das Energie-Erhaltungsprinzip nicht verletzt werden soll. Auf das unzulässige Außerachtlassen des Eigenfeldes der Elementarladung wurde schon an anderer Stelle hingewiesen (BORN 1956, THEIMER 1977, FRIEBE 1983).

Die theoretischen Ansätze der Elektrodynamik der Jahrhundertwende, insbesondere die Formel für die sogenannte LORENTZ-Kraft, lassen das Eigenfeld der Elementarladung unberücksichtigt. Dadurch ergibt sich eine zwar rechnerisch einfache, aber sachlich falsche Bestimmung der Geschwindigkeiten aufgrund der Glgn. (2) bis (4).

Was bedeutet dies nun in Anwendung auf die Experimente von LENARD (1902)? Für die Messung ohne Gegenspannung, bei der ein Strom in Abhängigkeit von der Lichtintensität auftritt, ist sowohl eine kinetische Energie der bewegten Elementarladungen als auch eine potentielle Energie aufgrund des Eigenfeldes der Ladungen anzunehmen. Die Aufteilung auf beide Energiearten stellt eine nicht ganz einfache Abhängigkeit dar, was die Meßergebnisse erkennen lassen. Im Falle mit Gegenspannung, d.h. bei Strom = Null, liegt dagegen ein stationärer Zustand vor. Es tritt also nur eine potentielle Energie auf. Die Anordnung verhält sich ebenso wie ein geladener Kondensator, dessen potentielle Energie eine Funktion der anliegenden Spannung ist. Ein Rückschluß auf die kinetische Energie der Elementarladung ist nicht möglich. Damit ist eine wesentliche Voraussetzung der Lichtquantenhypothese nicht gegeben.

Es erhebt sich nun die Frage, ob die potentielle Energie, die sich direkt aus Glg. (4) ergibt, in einem funktionellen Zusammenhang mit der eingestrahlten Lichtenergie entsprechend der Formel (1) steht. Diese Frage ist zu verneinen. Denn die eingestrahlte Lichtenergie ist eine Energie pro Zeiteinheit, also gemäß der üblichen Definition eine Leistung. Wäre nämlich ein direkter Zusammenhang zwischen Lichtenergie und potentieller elektrischer Energie gegeben, so müßte die als Photospannung gemessene und als Energie interpretierte Größe ebenfalls eine Funktion der Zeit sein, also bei über längere Zeit einstrahlendem Licht laufend ansteigen. Dies ist aber nicht der Fall.

Die elektrische Leistung Nel ist definiert durch:

(5)                                             Nel    =    U · I
mit    U    =    elektrische Gleichspannung
und    I    =    elektrischer Gleichstrom.

Daraus ergibt sich die elektrische Energie Eel bei konstanten Größen U und I als folgendes Zeitintegral:

(6)                                             Eel    =    Integral über [U · I · dt]
=    U · I · Integral über [dt]
=    U · I · ( t2 - t1 )

Dabei ist die Zeitdifferenz ( t2 - t1 ) durch die Integrationskonstanten des Integrals bestimmt.

Da nun bei Messungen mit Gegenspannung der elektrische Strom bewußt auf den Wert Null kompensiert wird, so ist damit auch die abgegebene Leistung, d.h. Energie pro Zeiteinheit, gleich Null, obwohl eine vorgegebene, in weiten Grenzen veränderbare Lichtintensität (= Energie pro Zeiteinheit) eingestrahlt wird. Die gemessene potentielle Energie ist also einmalig durch das eingestrahlte Licht aufgebaut worden, bis sich ein Gleichgewichtszustand einstellte.

Ein Indiz in dieser Richtung ist auch die Tatsache, daß bei niedriger Lichtintensität eine wesentlich größere Zeitverzögerung bis zum Erreichen dieses Gleichgewichtszustandes gemessen wurde. Rein meßtechnisch besteht also im stationären Zustand eine vollkommene Entkopplung zwischen Eingang und Ausgang, d.h. zwischen Lichtintensität und photoelektrischer Spannung, was ja auch die Meßergebnisse gezeigt haben.

Die Vorgänge beim photoelektrischen Effekt können in Analogie verglichen werden mit einem Windrad in einem Windstrom, der dem eingestrahlten Lichtstrom entspricht. Wird das Windrad durch die "Gegenspannung" einer mechanischen Feder an einer Drehung verhindert, so stellt sich ein Gleichgewichtszustand ein, bei dem sich Federspannung und Winddruck das Gleichgewicht halten. Es wird nach außen weder eine Energie noch eine Leistung abgegeben. Dennoch ist eine potentielle Federenergie definierbar und meßbar, die eine Funktion der Federkonstanten und des Winddruckes ist. Ein direkter Zusammenhang mit der eingestrahlten Windenergie pro Zeiteinheit besteht nicht. Denn andernfalls müßte auch die Federenergie eine Funktion der Zeit sein, also mit der Zeit fortlaufend ansteigen.

Auch im Bereich der Elektrotechnik findet man oftmals - ähnlich wie beim photoelektrischen Effekt - proportionale Abhängigkeiten einer elektrischen Spannung von der Frequenz, wenn ein Strom = Null gegeben ist. Man spricht in diesem Falle von einer "Leerlaufspannung". So ist die Leerlaufspannung eines Gleichstrom-Maschinen-Generators proportional der Umdrehungsfrequenz, die induzierte Leerlaufspannung eines Wechselspannungs-Transformators proportional der primärseitigen Frequenz und die Leerlaufspannung eines HERTZ-schen Dipols proportional der vom Sender empfangenen Frequenz. In keinem Falle läßt sich aber von der Leerlaufspannung oder der Frequenz auf die Energie bzw. Energie pro Zeiteinheit der Primärseite schließen.

Zusammenfassend ist daher festzustellen:

Die Untersuchungen von LENARD (1902), soweit sie der Lichtquantenhypothese zugrunde liegen, besagen weder etwas über die Geschwindigkeit oder kinetische Energie der "Elektrizitäts-Quanten" noch etwas über die Energie oder Energie pro Zeiteinheit der eingestrahlten "Licht-Quanten", sondern lediglich etwas über die frequenzproportionalen "Leerlaufspannungen" des photoelektrischen Effektes. Der Übergang auf die Energie von "Licht-Quanten" ist rein hypothetischer Natur und steht mit den Meßergebnissen in keinem funktionellen Zusammenhang. Auch spätere, sogenannte "experimentelle Bestätigungen" (vgl. insb . MILLIKAN 1916) beziehen sich ausschließlich auf die vorgenannten "Leerlaufspannungen".


Literatur:

LENARD, P, (1902), Ann. d. Phys. Bd. 8, 149 - 198

EINSTEIN, A. (1905), Ann. d. Phys. Bd. 17, 132 - 148

FORMAN / von MEYENN (1984): "Quantenmechanik und Weimarer Republik", Vieweg-Verlag, Wiesbaden, Reihe: "Facetten der Physik".

BAUMANN / SEXL (1983): "Die Deutungen der Quantentheorie", Vieweg-Verlag, Wiesbaden, Reihe: "Facetten der Physik".

SELLERI, F. (1983): "Die Debatte um die Quantentheorie", Vieweg-Verlag, Wiesbaden, Reihe: "Facetten der Physik".

WESLEY, J. P. (1983): "Causal Quantum Theory", Benjamin Wesley Publ., Blumberg (BRD)

GUT, B. J. (1983): "Immanent-logische Analyse der Lichtquantenhypothese", DPG-Didaktik-Tagungsband, Giessen 1983, 748 - 753

JAMMER, M. (1974): "The Philosophy of Quantum Mechanics", Wiley, New York

BORN, M. (1956): "Physics and Relativity", Helvetica Physica Acta, Suppl. IV, Birkhäuser-Verlag, Basel

THEIMER, W. (1977): "Die Relativitätstheorie - Lehre, Wirkung, Kritik", Francke-Verlag, Bern, München

FRIEBE, E. (1983): "Gibt es einen experimentellen Beweis für die sogenannte "Geschwindigkeits- Abhängigkeit der Masse"?" DPG-Didaktik-Tagungsband, Giessen 1983, 735 - 741

MILLIKAN, R. A. (1916a), Phys. Z. Bd. 17, 217 - 221

MILLIKAN, R. A. (1916b), Physical Rev. Bd. 7, 355 - 388