Hertz'sche Wellen
Quelle:
FRIEBE,
E. (1982): "Hertz'sche Wellen", Zeitschrift "Wissen im
Werden", Zwingendorf (Österreich), Heft 2 (1982), S. 81 -
86
Im Jahre 1889 brachte Heinrich HERTZ seine viel zitierte Arbeit heraus: "Die Kräfte elektrischer Schwingungen, behandelt nach der MAXWELL'schen Theorie". Gleich am Anfang dieser Arbeit führte er aus: "Die Ergebnisse der Versuche, welche ich über schnelle elektrische Schwingungen angestellt habe, scheinen mir der MAXWELL'schen Theorie ein Übergewicht über die anderen Theorien der Elektrodynamik zu verleihen." HERTZ geht in dieser Untersuchung von Gleichungen aus, die zwar auf den Grundannahmen von MAXWELL beruhen, die aber teilweise vereinfacht und gestrafft waren. Diese Gleichungen hatte HERTZ in früheren Veröffentlichungen herausgearbeitet. Sie entsprachen denen von HEAVISIDE und haben - in der heute üblichen Darstellungsweise - folgende Form:
dH/dt = - c · rot E (1)
dE/dt = c · rot H (2)
div H = 0 (3)
div E = 0 (4)
Dabei ist c die
Vakuumlichtgeschwindigkeit, H der Vektor der "magnetischen
Kraft" und E der Vektor der "elektrischen Kraft".
HERTZ zeigt, daß die Ausbreitung der
elektromagnetischen Erscheinungen in der Tat - wie es MAXWELL
aufgrund von Anregungen durch Faraday vorausgesetzt hatte - etwa mit
Vakuumlichtgeschwindigkeit fortschreiten. Seine Untersuchungen zeigen
aber auch, daß zur Erregung dieser Erscheinungen ein Dipol
erforderlich ist, also eine mechanische Anordnung, die mindestens
zwei diskrete, unterschiedlich polarisierte Ladungspunkte erfordert.
Nicht hinreichend ist also eine Punktladung oder ein sogenannter
"Kugelstrahler", der in früheren und auch späteren
Theorien als ausreichend angesehen wurde. Vor allem ergibt sich durch
die ZWEI Ladungspunkte eine eindeutige Richtung für die
Polarisierung der entstehenden elektromagnetischen Welle, die
auf andere Weise nicht verständlich gemacht werden kann. Diese
Feststellung ist umso wichtiger, als auch bei optischen Erscheinungen
schon lange Zeit vorher der Effekt der Polarisation bekannt war.
Durch die Polarisation ergibt sich, daß die Ausbreitung
der elektromagnetischen Erscheinungen nicht in Form einer
Kugelwelle vor sich geht, sondern eine Vorzugsrichtung besitzt, die
rotationssymmetrisch um die Achse des Dipols liegt und ihr Maximum in
der Richtung senkrecht zum Dipol aufweist. HERTZ bediente sich zur
Beschreibung dieser Erscheinung des sog. "Biot-Savart'schen
Gesetzes", das er - in Abweichung zum Ansatz von
MAXWELL, der den Begriff des "Vektorpotentials"
eingeführt und angewendet hatte - mit den grundlegenden
Differential-Gleichungen MAXWELLs verknüpfte. Dabei verzichtete
er bewußt auf die exakte Darstellung der unmittelbaren Umgebung
des Dipols, indem er in diesem Bereich den Abstand eines zu
betrachtenden Raumpunktes von dem sehr klein angenommenen Dipol
gegenüber der Wellenlänge vernachlässigte. Hierdurch
ergab die Rechnung für den Nahbereich naturgemäß nur
eine Annäherung. Andererseits standen die MAXWELL'schen
Gleichungen in der oben angegebenen Form für den Fernbereich in
recht guter Übereinstimmung mit den experimentellen Ergebnissen.
Den Nahbereich konnte HERTZ durch graphische
Darstellungen (BILD links, entnommen aus
Annalen der Physik und Chemie N. F. Bd. XXXVI, 1889) sehr gut
veranschaulichen, die zur qualitativen Beschreibung
dieses Bereiches auch heute noch bestens geeignet sind.
In einer späteren Arbeit
entwickelte HERTZ auch eine Theorie zur Elektrodynamik bewegter
Körper (1890). Diese befriedigte jedoch nicht im Hinblick auf
die experimentellen Erfahrungen und wurde daher von der Fachwelt
verworfen. Erst in neuerer Zeit findet man sie in wissenschaftlichen
Werken zur Elektrodynamik wieder erwähnt, vor allem in
Lehrbüchern für Techniker (z.B. KÜPFMÜLLER 1973).
Um so mehr fand die von LORENTZ stammende Arbeit: "Versuch
einer Theorie der elektrischen und optischen Erscheinungen in
bewegten Körpern" (1895) und eine spätere Arbeit
desselben Autors von 1904 Beachtung, bei denen die
"ElektronenTheorie" entwickelt und auf die
MAXWELL'schen Gleichungen angewandt wurde.
Aufgrund dessen
erhalten die MAXWELL'schen Gleichungen die folgende Form:
dH/dt = - c · rot E (1a)
dE/dt + á·v = c · rot H (2a)
div H = 0 (3a)
div E = á (4a)
Dabei ist
nach LORENTZ die "Volumendichtigkeit" der Ladung des
Elektrons und v der Vektor der Geschwindigkeit eines Punktes
des Elektrons.
Diese Gleichungen gehen für die
Geschwindigkeit v = 0 nicht in die MAXWELL- HERTZ'schen
Gleichungen über, da der Ausdruck (4a) div E = á
von dem Ausdruck (4) div E = 0 abweicht. In Worten besagt dieser
Unterschied, daß beim HERTZ'schen Ansatz die Summe aller
elektrischen Feldlinien, die von einem erregenden Dipol
ausgehen, unter Berücksichtigung des Richtungsvorzeichens, in
einem abgeschlossenen Raumgebiet stets gleich NULL ist,
während nach dem Ansatz von LORENTZ von einem Monopol
ausgegangen wird, dessen Feldlinien-Summe in einem abgeschlossenen
Raumgebiet ungleich NULL ist. Es wird also hierbei implizite
vorausgesetzt, daß die Gegenladung des Elektrons, an der die
elektrischen Feldlinien enden, in einem Medium (Äther) bzw. im
Unendlichen ihren Sitz hat.
Obwohl dieser Unterschied nur
sehr klein zu sein scheint, ist er dennoch von wesentlicher
Bedeutung, als nunmehr die "experimentellen Bestätigungen"
von HERTZ auf diesen Ansatz nicht mehr zutreffen. Das bezieht sich
vor allem auf die Richtung der elektrischen Feldlinien, die beim
HERTZ'schen Ansatz im wesentlichen senkrecht zur Ausbreitungsrichtung
(Fortpflanzung mit c), beim LORENTZ'schen Ansatz im wesentlichen
parallel zur Ausbreitungsrichtung angenommen wird. Zum anderen bringt
der Ansatz von LORENTZ für den Fall v ungleich Null
Schwierigkeiten, da eine Geschwindigkeit (= Abstandsänderung
pro Zeiteinheit) gegenüber dem Unendlichen nicht und gegenüber
einem Medium nur dann definierbar ist, wenn ein solches als vorhanden
angenommen werden und in seiner Bewegung relativ zu materiellen
Körpern meßtechnisch erfaßt werden kann.
Dieser letztgenannten Problematik kann auch dadurch nicht
begegnet werden, daß man das Elektron als um einen Schwerpunkt
schwingend oder rotierend annimmt, denn die grundsätzliche
Nichtübereinstimmung mit den Versuchsergebnissen von HERTZ
bezüglich der Richtung der Feldlinien wird hierdurch nicht
beseitigt.
In der heutigen Literatur findet man im
allgemeinen Mischformen zwischen den HERTZ'schen und den
LORENTZ'schen Gleichungen, die zum Teil noch durch Elemente der
ursprünglichen Ansätze von MAXWELL selbst verändert
sind. Dabei wird in der physikalischen Literatur im allgemeinen die
Form nach LORENTZ, in der technischen Literatur die Form nach HERTZ
bevorzugt. Dieses dürfte ein wesentlicher Grund dafür sein,
daß zwischen Physikern und Elektrotechnikern häufig
Mißverständnisse bei der Diskussion
elektromagnetischer Erscheinungen auftreten. Beide sprechen
von den "MAXWELL'schen Gleichungen", beide meinen aber
etwas anderes. Damit verbunden ist ein anderes Problem: Die in der
Technik im Rahmen der für Techniker ausreichenden
Meßgenauigkeiten festgestellten Übereinstimmungen zwischen
Theorie und Experiment werden von den Physikern als experimentelle
Bestätigung höchster Genauigkeit ihrer theoretischen
Ansätze interpretiert.
Es ergibt sich nun die
erstaunliche Tatsache, daß die großen Theorien der
modernen Physik, d. h. die Relativitäts-Theorie und die
Quanten-Theorie, auf der LORENTZ'schen Form der MAXWELL'schen
Gleichungen aufbauen, die selbst mit den experimentellen
Bestätigungen von HERTZ nicht im Einklang steht, obwohl sie sich
auf diese beruft. Auch andere sogenannte experimentelle Beweise der
Relativitäts- und Quanten-Theorie sind unschlüssig, soweit
sie sich bei ihrer Auswertung auf Formeln stützen, die aus der
LORENTZ'schen Theorie abgeleitet sind. Vor allem ist in diesem
Zusammenhang die Formel für die "LORENTZKRAFT" zu
nennen. Diese Formel bedarf dringend einer logischen und
experimentellen Überprüfung, denn sie dient zur Berechnung
der sogenannten "Geschwindigkeitsabhängigkeit der Masse".
Bei dieser Formel tritt ebenfalls die Geschwindigkeit v des
Elektrons auf, die die oben genannten begrifflichen
Schwierigkeiten mit sich bringt.
Es erscheint Zeit, daß
die unterschiedlichen Formen der "MAXWELL'schen"
Gleichungen kritisch gegenübergestellt und ihre Prämissen
und "experimentellen Bestätigungen" überprüft
werden.
Literatur
1. FRIEBE, E. (1980): "Die MAXWELL'schen
Gleichungen in neuer, besonders einfacher mathematischer Form".
München 1980, Privatdruck
2. FRIEBE, E. (1982):
"Elektrodynamik und MAXWELL'sche Gleichungen im Einklang mit dem
Relativitätsprinzip von Galilei". Vortrag am 26.3.82 bei
der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG), Gießen
(Tagungsband).
3. HERTZ, H. (1889): "Die Kräfte
elektrischer Schwingungen, behandelt nach der MAXWELL'schen Theorie".
Ann. Phys. u. Chem. 1889, No. 1
4. HERTZ, H. (1890): "Über
die Grundgleichungen der Elektrodynamik für bewegte Körper".
Ges. Werke, Bd. II, 2. Aufl. Leipzig 1894, S.256 - 285.
5.
KÜPFMÜLLER, K. (1973): "Einführung in die theoretische
Elektrotechnik". 10. Aufl. 1973. Springer-Verlag, insb.
Abschnitt 43
6. LORENTZ, H. A. (1895): "Versuch einer
Theorie der elektrischen und optischen Erscheinungen in bewegten
Körpern". Auszugsweise in "Das Relativitätsprinzip"
von Lorentz, Einstein, Minkowski, 4. Aufl., Teubner Leipzig Berlin
1922
7. LORENTZ, H. A. (1904): "Elektromagnetische
Erscheinungen in einem System, das sich mit beliebiger, die des
Lichtes nicht erreichender Geschwindigkeit bewegt". Deutsch aus
dem Englischen in "Das Relativitätsprinzip" (wie unter
6.)
8. MAXWELL, J. C. (1865): "A Dynamical Theory of the
Electromagnetic Field". Philosophical Transactions. 1865 London,
Vol. 155, S. 459 - 512
9. MAXWELL, J. C. (1883): "Lehrbuch
der Electricität und des Magnetismus". Deutsch von Dr. B.
Weinstein, Bd. I u II, Springer-Verlag, Berlin