Der
Energie-Erhaltungs-Satz
und das perpetuum mobile
Quelle:
THÜRING,
B. (1967): Die Gravitation und die philosophischen Grundlagen
der Physik,
Verlag Duncker & Humblot, Berlin, Seiten
240 - 247
1. Unter Energie wird heute die Fähigkeit verstanden, mechanische Arbeit zu leisten1). Der Begriff der Arbeit ist dabei mit dem Begriff der Kraft durch die Definition verknüpft: Die Arbeit ist das Wegintegral der Kraft (a.a.O. Seite 59), wobei unter Wegintegral in geometrischer Veranschaulichung die Fläche verstanden wird, welche durch die (unter dem Einfluß von Kräften) von einem Körper zurückgelegte Wegstrecke s (als Abszisse), durch die darauf an ihren Endpunkten senkrecht errichteten Geraden und die Kraftkurve K (in Richtung des Weges s) begrenzt ist (siehe BILD). Die genannte Fläche ist als die Summe ( = Integral) aller (differentiellen) rechteckigen Flächenstreifen mit den Flächen K(s) · ds zwischen s1 und s2 aufzufassen.
BILD: Kraft und Arbeit
Die Kraft
schließlich ist durch das Axiom VII des
Gravitations-Axiomen-Systems definiert. Energie ist also
ein synthetischer Begriff auf der Grundlage des
Gravitations-Axiomensystems; daher läßt sich der sog.
Energie-Erhaltungs-Satz aus diesem Axiomensystem durch Einführung
des Begriffes Arbeit gewinnen; der hierzu nötige
mathematische Integrations-Prozeß soll hier nicht im einzelnen
durchgeführt werden:
Auf eine beliebige
Massenkonfiguration von n Differentialkörpern mit
den Massen m 1 · · · ·m
n und den Geschwindigkeiten v (1)
· · · ·v (n) (im
FKS) und den gegenseitigen Abstands-Vektoren r i k
(i, k = 1 · · · ·n unter
Ausschluß von i = k) zur Zeit t mögen
bis zum Zeitpunkt T Kräfte K (1)
· · · ·K (n)
einwirken (definiert durch das Axiom VII). Dann liefert das
Superpositions-Axiom VI, das Gravitationsaxiom II (und die Beachtung
der übrigen Axiome) zwingend das Resultat:
Die von
diesen Kräften (in der Zeitspanne T - t )
geleistete Arbeit ist gleich der Änderung der Energie2) der
Massenkonfiguration (in der Zeitspanne T - t ).
Das ist der sog. Energie-Erhaltungs-Satz.
Der Gesichtspunkt der Erhaltung wird unmittelbar
deutlich, wenn man die Arbeit Null sein, d.h. in der Zeitspanne T
- t keine Kräfte wirken läßt. Dann ist nach
obigem Satz die Änderung der Energie der Massenkonfiguration
ebenfalls Null, d.h. die Energie ist (trotz in dieser Zeit
erfolgter Änderungen der gegenseitigen Lage und der
Geschwindigkeit der Massen) zwischen den Zeitpunkten t
und T ungeändert, d.h. erhalten
geblieben.
Der Energie-Erhaltungs-Satz ist also kein
Erfahrungs-Satz, sondern eine Folge des Gravitations-Axiomensystems
in Verbindung mit den zusätzlichen Definitionen der
Begriffe Arbeit und Energie3). So
wenig wie das Gravitations-Axiomensystem empirisch widerlegt werden
kann, ebenso wenig kann dies mit dem Energie-Erhaltungs-Satz
geschehen, solange an den Definitionen der Begriffe Arbeit
und Energie festgehalten wird. Das Entsprechende
gilt für einen empirischen Beweis oder eine
empirische Bestätigung. Die Realisierung des
Gravitations-Axiomensystems durch geistige oder manuelle Exhaustion
bringt zwangsläufig auch die Realisierung des
Energie-Erhaltungs-Satzes und damit seine (methodische)
Universal-Realgeltung mit sich. Vermutliches empirisches
Nichtgelten kann seinen Formalgrund stets nur entweder
a) in einer nicht vollständigen Berücksichtigung der vorhandenen Massen oder Kräfte, also in einer Störung durch diese, oder
b) in einem - vielleicht unbewußten - Abgehen vom Gravitations-Axiomensystem haben; letzteres kann aber nie von der Empirie erzwungen werden, ist also gegebenenfalls willkürlich.
2. Der Energie-Erhaltungs-Satz hängt
aufs engste mit dem alten Erfindertraum zusammen, ein perpetuum
mobile zu konstruieren. Darunter meint man eine Maschine,
die eine größere Arbeit leistet, als der Energie
äquivalent ist, die man zum Betrieb der Maschine aufwendet4).
Die zahlreichen Versuche, eine solche Maschine zu konstruieren, die
Bemühungen Hunderter von Erfindern, die oft Gut, Vermögen,
Zeit und Arbeitskraft für die Realisierung dieser Idee
verbraucht haben, sind stets gescheitert. In dieser Tatsache wird
nach der landläufigen Auffassung der Physik-Lehrbücher
der Beweis erblickt, daß der Energie-Erhaltungs-Satz
allgemeine Gültigkeit besitzt. Er gilt also hier als
Erfahrungs-Satz.
Vor Jahrzehnten hat andererseits die Pariser
Akademie der Wissenschaften eine Verlautbarung veröffentlicht,
wonach sie in Zukunft sich nicht mehr bereit finden wolle, bei ihr
eingehende Konstruktionsvorschläge eines perpetuum mobile zu
begutachten, da eine solche Maschine dem Energie-Satz widerspreche.
Während also die Lehrbuch-Auffassung (wie wir sie kurz
nennen wollen) die Geltung des Energiesatzes auf die bisherige
Unmöglichkeit der Konstruktion eines perpetuum mobile gründet,
gründet die Auffassung der Pariser Akademie die zukünftige
Unmöglichkeit eines perpetuum mobile auf die Geltung des
Energiesatzes. Mit anderen Worten: Es wird einfach die bisherige
Unmöglichkeit in der Vergangenheit auf alle Zukunft ohne weitere
Begründung extrapoliert und ausgedehnt. Ein solcher Gedankengang
ist nicht nur nicht zwingend, sondern steht auch im Widerspruch mit
der Lehrbuch-Auffassung, wonach der Energie-Erhaltungs-Satz als
Erfahrungs-Satz in seiner Geltung auch eventuell anders lautenden
Erfahrungen der Zukunft unterworfen ist und durch sie beschränkt
werden kann. Dasselbe gilt dann auch für die Unmöglichkeit
eines perpetuum mobile; auch dieses braucht hiernach nicht
prinzipiell unmöglich zu sein, für wie unwahrscheinlich man
eine solche Maschine auch zur Zeit halten möge.
Aber die
Unhaltbarkeit der empiristischen Glaubenslehre in diesem Punkte wird
auch ohne Bezugnahme auf das Gravitations-Axiomensystem und auf
mathematische Deduktionen deutlich, wenn man einmal nicht die übliche
Frage aufwirft, wie ein perpetuum mobile zu konstruieren sei,
sondern die Frage: Ist es überhaupt möglich, ein perpetuum
mobile als solches eindeutig und zweifelsfrei zu erkennen?
Jeder
Energie-Lieferant hat auf die Frage nach dem Woher seiner Energie
(oder Arbeitsfähigkeit) zwei Antworten bereit:
Entweder
A) die Energie wird ganz aus einem anderen Energie-Reservoir entnommen; dieses kann im Augenblick der Untersuchung
a) bekannt oder feststellbar sein,
b) latent sein und sich der augenblicklichen Erfahrung entziehen;
oder
B) die Energie wird wenigstens teilweise aus dem Nichts erzeugt; der Energie-Lieferant ist in diesem Falle ein perpetuum mobile; eine weitere Möglichkeit ist nicht denkbar.
Liegt der Fall Aa) eindeutig
feststellbar vor, was durchaus möglich ist und in vielen Fällen
geschieht, so ist der Energie-Lieferant kein perpetuum mobile.
Ist aber das Energie-Reservoir nicht bekannt, so ist niemals mit
Sicherheit auszusagen, daß von den möglichen Fällen
Ab) und B) der eine oder der andere vorliege. Von ihnen ist aber nur
der zweite B) ein perpetuum mobile, der erste nicht. Auch wenn die
Bemühungen sämtlicher Forscher der Welt, dieses Reservoir
aufzufinden, durch Jahrhunderte und noch länger scheitern
würden, so wäre damit nichts gegen die Interpretation Ab)
bewiesen, sondern es bestünde stets die Möglichkeit,
daß die Bemühungen noch nicht ausreichend waren.
Wir
müssen also sagen: Niemals ist es möglich, ein perpetuum
mobile als solches eindeutig und zweifelsfrei empirisch zu erkennen,
auch nicht etwa in dem Sinne, daß ein solches Erkennen
wenigstens nach und nach mit stets wachsender Annäherung
zustande komme.
Diese Aussage gilt als Resultat ganz
einfacher logisch-methodischer Überlegungen für alle
Zeiten. Aus ihm folgt bereits zwingend, daß der
Energie-Erhaltungs-Satz kein bloßer Erfahrungs-Satz sein kann.
Denn ein solcher setzt mindestens die prinzipielle Erkennbarkeit auch
des Gegenteils seines Aussage-Inhalts voraus.
Hat es
unter diesen Umständen überhaupt noch einen Sinn, den
Begriff eines perpetuum mobile in der Wissenschaft
beizubehalten, wenn er sich eindeutiger empirischer Feststellung am
realen Objekt entzieht? Gerade auch die empiristische Naturauffassung
(Lehrbuch-Auffassung) muß Begriffe als sinnlos empfinden,
welche als Eigenschaften eines realen Objekts empirisch prinzipiell
nicht feststellbar sind. Dies ist des öfteren ausgesprochen
worden. Die Behauptung von der prinzipiellen Möglichkeit der
Existenz eines perpetuum mobile wird also zumindest gegenstandslos,
da solche Existenz prinzipiell empirisch nicht feststellbar ist. Und
die Pariser Akademie-Entschließung erhält nun von einer
anderen Seite her ihre volle Begründung.
Es gibt ein
berühmtes praktisches Beispiel für das soeben Gesagte: Das
Problem der Energie-Erzeugung in der Sonne und in den
Fixsternen. Unsere Sonne strahlt in jeder Sekunde 4 mal 1033
Erg5) aus und zwar tut sie das, da sie sicher nicht jünger
ist als die Erde, deren Alter aus dem Vorkommen von radioaktiven
Stoffen und deren Produkten in Sedimentgesteinen abgeschätzt
werden kann, seit mindestens 2 Milliarden Jahren, so daß sie in
diesem Zeitraum etwa 2.5 mal 1050 Erg abgegeben haben
dürfte. Von der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts an, als
diese riesigen Zahlen bekannt wurden, begannen die Bemühungen
von Astronomen und Physikern, die Energie-Quelle
ausfindig zu machen, aus welcher die Sonne selbst diese Mengen an
Strahlungs-Energie bezieht. Der erste Lösungsversuch dieses
Problems wurde von Helmholtz gemacht, als er die gesuchte
Energie-Quelle in der Hypothese glaubte erfaßt zu haben,
daß die durch eine Kontraktion der Sonnenkugel sich
verringernde potentielle Energie in einer genau gleichen Abgabe
von Strahlungsenergie ihr Äquivalent finde. Als die
Rechnung jedoch ergab, daß diese Energie-Quelle nur für 23
Millionen Jahre ausgereicht hätte, mußte diese Hypothese
als unzulänglich beiseite gelegt werden. So blieb die Frage
zunächst wieder offen und nach manchen anderen wieder
aufgegebenen Versuchen ist in neuerer Zeit durch C. F. v.
Weizsäcker6) die Hypothese aufgestellt und
oft diskutiert worden, daß die Ausstrahlung der Sonne (und der
Fixsterne) aus jener Energie bestritten werde, um welche sich die
innere Aufbauenergie der einzelnen Atomkerne verringert, wenn
diese durch thermische Zusammenstöße bei den hohen
Temperaturen im Stern-Inneren in bestimmte Reaktion treten. Es
wird hierbei vor allem an die Umwandlung von Wasserstoff in Helium
gedacht, wobei die Wasserstoff-Kerne mit Kohlenstoff und
Stickstoff in Reaktion treten sollen.
Es kann hier nicht
unsere Aufgabe sein, diese Hypothesen im einzelnen zu
diskutieren, da für uns nur das prinzipielle methodische
Vorgehen und Verfahren im Vordergrunde steht, welchem diese
Hypothesen ihre Entstehung verdanken:
Die Tatsache, daß
die Sonne dauernd Energiebeträge im angegebenen Umfange nach
außen abgibt, ohne daß an ihr irgendeine Veränderung
bemerkbar geworden wäre, welche damit in Zusammenhang gebracht
werden könnte, ist zunächst zweier Interpretationen fähig,
welche den Fällen Ab) und B) entsprechen:
A1) entweder es
ist eine vorerst latente, der Erfahrung gegenwärtig
nicht unmittelbar zugängliche Energie-Quelle derart
anzusetzen, daß sie die Geltung des Energie-Erhaltungs-Satzes
gewährleistet,
B1) oder der Energie-Erhaltungs-Satz
besitzt für die Sonne (und die Fixsterne) keine Gültigkeit.
In diesem Falle wären die Sonne und die Fixsterne je ein
perpetuum mobile.
Es ist ohne weiteres einleuchtend,
daß die Erfahrung keine Entscheidung zwischen diesen
beiden Interpretationsmöglichkeiten herbeizuführen
vermag. Denn beide sind ja mit der Erfahrung der dauernden
Energie-Abgabe durch Sonne und Fixsterne durchaus im Einklang. Nun
hält der konsequente Empirismus ein perpetuum mobile prinzipiell
für möglich. Außerdem zeigt die Erfahrung nichts von
einer Energie-Quelle, aus der die Sonne ihre Energie entnimmt.
Speziell ist weder von einer Kontraktion der Sonne etwas zu bemerken,
noch sind die erwähnten Kernreaktionen irgendwie
beobachtbar. Somit käme bei konsequentem empiristischen
Denken allein die Interpretation B1) in Betracht und wir hätten
also in der Sonne (und in den Fixsternen) je ein riesiges perpetuum
mobile vor uns. Dieser Konsequenz aus der empiristischen
Naturphilosophie steht aber die Tatsache gegenüber, daß
von Seiten der exakten Wissenschaft niemals diese Interpretation B1)
ernstlich in Erwägung gezogen worden ist, sondern immer nur die
Interpretation A1).
Dies ist relativ zur anerkannten
empiristischen Lehrbuch-Auffassung eine Inkonsequenz. Denn wenn dort
schon ein perpetuum mobile empirisch für möglich
gehalten wird, so könnte ein solches, wenn überhaupt, doch
empirisch nur daran erkannt werden, daß die Quelle der
verausgabten Energie empirisch nicht auffindbar ist. Dies ist
bei der Sonne Lind bei den Fixsternen der Fall. Trotzdem aber wird
der Gedanke, eine Energie-Quelle sei überhaupt nicht vorhanden,
d.h. die Sonne und die Fixsterne seien perpetua mobilia, keinen
Augenblick ernstlich in Betracht gezogen.
Man wird in
der einschlägigen Fachliteratur vergeblich nach einer
Begründung für diese Entscheidung suchen. Sie wird
wohl auf einem instinktiven (nicht klar bewußten) Erfühlen
der Tatsache der empirischen Nichterkennbarkeit eines perpetuum
mobile beruhen.
Daß aber darüber hinaus ein
perpetuum mobile innerhalb der Kausalwissenschaft einen
Widerspruch darstellt, daher realiter unmöglich und eine
absolute Utopie ist, folgt aus der Tatsache, daß
die Begriffe der Masse, der Kraft und der Energie so definiert sind,
daß der Energie-Erhaltungs-Satz eine Tautologie ist,
welche durch die entsprechenden Realisierungsmaßnahmen stets
auch in die Wirklichkeit hineingetragen wird. Wer die Definitionen
dieser Begriffe und ihre Beziehungen untereinander sowie die
zugehörigen geistigen und manuellen Realisierungsmaßnahmen
(Exhaustion) vergißt oder nicht überschaut, verfällt
leicht der empiristischen Täuschung, daß der
Energie-Erhaltungs-Satz ein von unserem Willen unabhängiges
Naturgesetz sei, zu dessen Kenntnis wir durch Erfahrung
gelangen.
Anmerkungen:
1) Siehe z. B.
Bergmann - Schäfer: Lehrbuch der Experimental-Physik 1,Seite 60.
2) Bei dem Integrationsprozeß ergibt
sich von selbst eine Aufteilung der Energie in eine
geschwindigkeitsabhängige kinetische und eine
von den gegenseitigen Abständen der Massen (also ihrer
Relativ-Lage) abhängige potentielle Energie.
3) Die gegenteilige Behauptung in Bergmann -
Schäfer Lehrbuch der Experimental-Physik
1, Seite 491: Aber deduzieren läßt sich das
Energiegesetz aus dem Kausalgesetz nicht wird dort nicht näher
begründet. Sie dient nur zur Betonung der empiristischen
Grundauffassung, aus welcher Seite 2 das Kausalgesetz
ausdrücklich ausgenommen worden war. Von letzterem wird dort
gesagt, es wäre ein Mißverständnis zu
glauben, daß es empirisch begründet oder widerlegt werden
könnte.
4) Siehe Grimsehls Lehrbuch der
Physik (R. Tomaschek) I, S. 449, 9. Auflage 1936;
entsprechende Formulierungen in allen anderen Lehrbüchern der
Physik.
5) Erg ist die physikalische
Einheit der Arbeit; die Arbeit von 1 Erg wird geleistet,
wenn eine Masse von 1,02 Milligramm um 1 cm gehoben wird.
6)
Atkinson, Houtermans, Zschr. f. Physik 54 - 656 (1929). C. F.
v. Weizsäcker, Physikal. Zschr. 38 - 176 (1937) und
39 - 633 (1938).