WALTER RITZ
Das Prinzip der
Relativität
in der Optik
Quelle:
WALTER RITZ
(1908): Das Prinzip der Relativität in der
Optik.
(Antrittsrede zur Habilitation am 5. Mai
1908)
Entnommen aus dem Buch:
Theorien über
Äther, Gravitation, Relativität und Elektrodynamik
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Dr. Karl
Dürr,
Schritt-Verlag, Bern und Badisch-Rheinfelden 2. Auflg.
(1965), S. 5 - 14.
Ein Grundgesetz der Mechanik,
das Prinzip der Relativität, besagt, daß die gleichförmige
Translation eines mechanischen Systems ohne Einfluß bleibt auf
die Vorgänge innerhalb desselben.
Gleiches gilt von der
absoluten Orientation des Systems im Raume: eine beliebige Drehung
der Koordinatenachsen ändert die Gestalt der Gleichungen der
Mechanik nicht. Beide Aussagen kann man dahin zusammenfassen, daß
diese Gleichungen unverändert bleiben, wenn man an Stelle der
Koordinaten x, y, z neue einführt durch die linearen
Beziehungen:
worin die a,
b, g die
Richtungskosinusse sind, die den sog. Orthogonalitätsbedingungen
genügen müssen, während v1, v2,
v3 die Komponenten der konstanten
Translationsgeschwindigkeit des Systems sind.
Gleiches gilt
natürlich auch für alle diejenigen physikalischen
Erscheinungen, die auf mechanische Vorgänge innerhalb der
Materie sich zurückführen lassen, wie der Schall, die Wärme
usw.
Ganz anders ist es mit den optischen und den mit
ihnen verknüpften elektrodynamischen Erscheinungen. Zwei
Theorien haben sich bekanntlich lange Zeit das Gebiet der Optik
streitig gemacht. Die Emissionshypothese und die Undulations-
oder Äthertheorie. Nach dem ersten wird die Energie von
einem leuchtenden Körper nach allen Seiten fortgeschleudert.
Nach der zweiten pflanzt sie sich wellenartig fort in dem das ganze
Weltall erfüllenden Lichtäther. Je nachdem wir die eine
oder die andere Theorie zu Grunde legen, werden wir für den
Einfluß einer Translationsbewegung der Materie ganz andere
Resultate erhalten.
Betrachten wir zunächst die
Emissionshypothese. Die Energieteilchen werden mit einem konstanten
stets gleichen Anfangsimpuls fortgeschleudert, sie bewegen sich
geradlinig fort, bis sie einen neuen Körper treffen, der sie
dann ablenkt. Alle diese Vorgänge sind rein mechanische,
folglich bleibt auch das Relativitätsprinzip erfüllt.
Leuchtet ein Körper kurz auf, so werden die ausgesandten
Lichtteilchen zu jeder Zeit die Fläche einer Kugel erfüllen,
die sich gleichmäßig ausbreitet und deren Mittelpunkt mit
dem leuchtenden Körper zusammenfällt, ob derselbe nun in
Ruhe oder in gleichförmiger Bewegung begriffen sei. Die
optischen Gesetze werden also nach der Emissionshypothese durch eine
gleichförmige Translation der Materie nicht beeinflußt.
Anders
bei den Voraussetzungen der Undulationstheorie. Ruht hier der
Äther und auch der strahlende Körper, so breitet sich zwar
das Licht auch kugelförmig aus, und der Mittelpunkt der Kugel
bleibt im leuchtenden Körper. Bewegt sich aber dieser, so ist
das für die Ausbreitung des Lichtes ganz gleichgültig:
dieselbe richtet sich nur nach dem Äther, nicht nach der
Materie. Eine bestimmte Zeit nach dem Aufleuchten werden wir also
folgendes Bild haben:
Die Undulationstheorie fordert also einen Einfluß der Translation der Materie auf die optischen Erscheinungen.
Nun aber ist bekannt, daß
die Emissionshypothese, wenigstens in der Gestalt, die ihr Newton
gegeben hat, sich nicht bewährt hat, während die
Undulationstheorie sämtliche Erscheinungen befriedigend
darstellt. Es war daher zu erwarten, daß die Bewegung der Erde,
zum Beispiel, einen Einfluß auf die optischen Vorgänge
haben müßte, und daß, auch wenn man Lichtquellen
benutzt, die an der Translation der Erde teilnehmen, die Lage der
Beugungsbilder, der Interferenzstreifen usw. von der Orientierung des
Apparates gegen die Erdbewegung, also schließlich gegen den
Fixsternhimmel abhängen würde. Allerdings zeigt die Theorie
in ihrer vollkommensten Gestalt, die ihr Lorentz gegeben hat, daß
der Einfluß ein sehr geringer sein muß und durch die sog.
Glieder zweiter Ordnung gegeben ist, d. h. Glieder, die das
Verhältnis Erdgeschwindigkeit: Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat
enthalten. Das ist ungefähr ein Hundertmillionstel.
Dem
amerikanischen Physiker Michelson gelang es zuerst, die
Schwierigkeiten eines so feinen Versuches zu überwinden. Das
überraschende Resultat war, daß der erwartete Einfluß
der Erdbewegung nicht vorhanden war. Andere Versuche, teils optischer
teils elektrischer Natur haben dies Ergebnis bestätigt, so daß
man die Überzeugung gewinnt, daß auch die optischen
Erscheinungen dem Relativitätsprinzip genügen und daß
die Natur in diesem Falle strenger an ihren allgemeinen Prinzipien
hält als die Physiker es getan hatten.
Wir sind nun vor
folgendes Dilemma gestellt: die Emissionshypothese
genügt dem Relativitätsprinzip; soll sie aber sonst auch
annehmbar sein, so muß sie tiefgreifende Änderungen in
ihrem Aufbau erfahren. Die Undulationstheorie, die sonst
befriedigend wäre, ist mit dem Prinzip zunächst
unvereinbar. Für die Gesetze des Lichtes ist eben nicht nur die
Materie, sondern vor allem der Äther maßgebend, dessen
Bewegung oder Ruhe mitwirkt. Will man diesen Einfluß
ausschalten so erweisen sich tiefgreifende Änderungen in den
Begriffen Zeit, Raum und Bewegung als notwendig. Diesen letzteren Weg
ist Lorentz gegangen, ferner Einstein, endlich in wesentlich
vertiefter Fassung Minkowski, der der Wissenschaft so jäh
entrissen worden ist. Um uns zu veranschaulichen, welche Änderungen
im Zeitbegriffe nötig sind, wenn man das Relativitätsprinzip
in die Undulationstheorie einführen will, kehren wir zurück
zu unserer Figur. Wir denken uns in A und B zwei Beobachter mit sehr
vollkommenen Uhren versehen.
Zur Zeit t = 0 läßt
der erste ein Lichtsignal leuchten, während der zweite
feststellt, zu welcher Zeit er dieses Signal wahrnimmt.
Nun
ist zwar bekanntlich wohl möglich, an verschiedenen Punkten der
Erde Uhren herzustellen, die genau Schritt halten mit der Umdrehung
der Erde um sich selbst und somit denselben Gang haben.
Damit
sie aber auch gleichzeitig dieselbe Stunde angeben, also
synchron gehen, ist es notwendig, die Differenz der geographischen
Länge festzustellen. Viel genauer erreicht man das Ziel durch
ein elektrisches Signal, welches, von dem einen Beobachter abgegeben,
sich mit Lichtgeschwindigkeit zum andern fortpflanzt. Wenn aber die
Zeit im Punkte B durch dieses Mittel festgestellt ist, so ist es
nicht mehr möglich, die Lichtgeschwindigkeit in der besprochenen
Weise zu messen; je nach der Bewegung des Systems wird der Beobachter
B einfach seine Uhr anders stellen, und um den Einfluß der
Bewegung wahrzunehmen, muß der Beobachter über andere
Mittel verfügen um die Gleichzeitigkeit in verschiedenen
Orten festzustellen. Durch geeignete Hypothesen haben wir ihm nun
diese Mittel zu entziehen.
Dazu ist zunächst
erforderlich, daß alle Kräfte, auch die Gravitationskraft,
sich nach demselben Gesetz ausbreiten wie das Licht: so wird eine
Kontrolle eines Signals durch ein andersartiges unmöglich. Nun
könnte aber der Beobachter B sich nach A mit seiner Uhr begeben,
den Gang seiner Uhr und ihren Synchronismus mit der Normaluhr A
vergleichen, sich nach B zurückbegeben und nun den Versuch
ausführen. Jetzt wird sich die Absolutbewegung geltend machen,
wenn nicht der Gang einer Uhr in einem bewegten System so von der
Bewegung abhängt, daß der Synchronismus durch das
Forttragen der Uhr gerade um den geeigneten Betrag sich ändert
und daß beim Rücktragen der Uhr in umgekehrter Richtung
bis A hier der Synchronismus wieder hergestellt ist. Der Gang der
Uhren, durch die wir die Zeit in beliebigen Orten definieren,
vermittelst der Normaluhr A, hängt also von der Geschwindigkeit
des Systems A B ab. Die so definierte Zeit ist natürlich ein
durchaus relativer Begriff. Zwei Ereignisse an verschiedenen
Orten können nicht mehr schlechthin als gleichzeitig
bezeichnet werden, das hat gar keinen Sinn mehr. Sind sie
gleichzeitig für einen Beobachter, so sind sie es im allgemeinen
nicht für einen zweiten, der sich relativ zum ersten bewegt.
Zwei Zeiten, die für den ersten gleich sind, sind
es nicht für den zweiten.
Und da die Geschwindigkeiten
die Quotienten von Verschiebungen durch Zeiten sind, werden auch die
Axiome der Kinematik hinfällig, das Gesetz des
Parallelogramms der Geschwindigkeiten wird ungültig. Wenn
ein Körnchen Radium nach zwei entgegengesetzten Richtungen
Elektronen von 250000 km/sec Geschwindigkeit aussendet, ist die
relative Geschwindigkeit dieser Elektronen nicht einfach 500000
km/sec, sondern ergibt sich aus einer komplizierten Formel gleich
296000 km/sec: die Relativgeschwindigkeit bleibt kleiner als die
Lichtgeschwindigkeit, wenn die absoluten Geschwindigkeiten es waren.
Die Physik operiert stets mit dem Grenzbegriff des starren
Körpers. Ein solcher würde jede Einwirkung instantan
weitergeben. Das darf nicht sein. Dieser Grenzbegriff wird also als
solcher unzulässig.
Doch auch die Masse wird zu
einem ganz relativen Begriff. Sie hängt von der Geschwindigkeit
ab, aber nicht von der Absolutgeschwindigkeit, wie in früheren
Theorien, sondern von der relativen Geschwindigkeit in Bezug auf den
Beobachter. Zwei verschieden bewegte Beobachter werden also
demselben Körper zur selben Zeit mit gleichem Recht
verschiedene Massen zuschreiben.
Macht man alle diese
Voraussetzungen so ist es nun wirklich einem Beobachter unmöglich
geworden, eine gleichförmige Translation seines Systems ohne
Zuhilfenahme fremder Systeme festzustellen: das Prinzip der
Relativität ist erfüllt. Vor einigen Jahrzehnten würden
allerdings solche Konsequenzen eine Theorie als unannehmbar von vorne
herein ausgeschlossen haben. Aber heute sind die Maxwell'schen
Gleichungen der Elektrizitätslehre und Optik so sehr zu Axiomen
geworden, daß man ihnen ziemlich unbedenklich fast alle andern
Axiome der Physik zu opfern bereit ist. Merkwürdiges
Schicksal einer Theorie, von welcher zu Lebzeiten ihres
Entdeckers fast niemand etwas wissen wollte.
Die von Einstein
und Lorentz gemachten Hypothesen lassen sich dahin zusammenfassen,
daß bei einer gewissen linearen Substitution der Koordinaten
und der Zeit die Gleichungen der Naturerscheinungen ungeändert
bleiben:
Diese Substitutionsgleichungren
enthalten 6 unabhängige Parameter.
Der Unterschied gegen
früher besteht darin, daß auch t der Transformation
unterworfen wird. Das eigentliche Wesen dieser Transformation
hat erst Minkowski erkannt. Es wurde schon betont, daß in der
gewöhnlichen Vorstellung die Naturvorgänge nicht davon
abhängen, wie die wirkenden Körper in ihrer Gesamtheit
gegen den Raum orientiert sind sondern nur davon, wie sie
gegeneinander liegen. Neben den drei Raumkoordinaten führt nun
Minkowski als vierte die in geeigneter Einheit gemessene imaginäre
Zeit ein. Die früher gemachten Hypothesen besagen nun einfach,
daß in diesem neuen, vierdimensionalen Raum betrachtet, die
Naturvorgänge von der absoluten Orientation unabhängig
sind.
Diese Aussage ist natürlich wesentlich
befriedigender als die Lorentz- Einstein'schen Hypothesen, die
ihrerseits den Vorzug haben den Einfluß auf unsere gewohnten
Begriffe augenscheinlicher zu machen. Sie erleichtert die
mathematische Behandlung spezieller Probleme sehr, ich muß
mir aber versagen, auf den weiteren Aufbau dieser Theorie hier
einzugehen.
Wie verhalten sich nun die Dinge, wenn wir an der
klassischen Form des Relativitätsprinzips festhalten, und
an der Universalität der Zeit und dementsprechend die
Emissionshypothese so umzugestalten suchen, daß sie die
optischen Gesetze richtig darstellt, ohne ihre Vorzüge zu
verlieren, die ja in der geometrischen Optik bekannt sind?
Ein
solches Unternehmen könnte zunächst als aussichtslos
gelten, nachdem die Differentialgleichungen der Optik sich so
glänzend bewährt haben. Es war der Elektronentheorie
von Lorentz vorbehalten, uns hier eine tiefere Einsicht zu eröffnen.
Lorentz zeigte, daß man die partiellen Differentialgleichungen
seiner elektrodynamischen und optischen Theorie auch ersetzen kann
durch gewisse Kräfte, die zwischen den Elektronen der
Lichtquelle, denen des optischen Apparates, endlich denen der Retina
wirksam sind.
Diese Kräfte sind der Gravitationskraft
nicht unähnlich, unterscheiden sich aber von ihr zunächst
dadurch, daß sie nicht nur von der Lage, sondern auch von den
Geschwindigkeiten und Akzelerationen der Teilchen abhängen.
Diese Verallgemeinerung hatte schon W. Weber in seinem berühmten
Grundgesetz der Elektrodynamik vorgenommen.
Zweitens ist für
die Wirkung eines Elektrons A auf ein anderes B im Augenblick t
nicht, wie bei dem Gravitationsgesetz, der gegenwärtige Zustand
von A maßgebend, sondern der Zustand zu einer früheren
Zeit t1, die soweit zurückliegt, daß
eine von A im Moment t1, ausgehende Welle B gerade
im Moment t trifft.
Aber gesetzt zunächst, alle
Geschwindigkeiten seien unendlich klein, so können wir ebenso
gut statt von einer sich fortpflanzenden Energiewelle von einer
fortgeschleuderten Energie sprechen: das Gesetz der Ausbreitung ist
dasselbe in beiden Fällen solange die Materie in bezug auf den
Äther ruht. Bloß das Bild, welches wir den Dingen
unterschieben, hat sich geändert. Statt eine in Zeit und Raum
periodische Verteilung eines Lichtvektors zu Grunde zu legen, werden
wir von der Betrachtung einer ebenso periodisch verteilten Energie
ausgehen. Ja der Umstand, daß, wie die Versuche über den
Lichtdruck zeigen, der strahlenden Energie eine Bewegungsgröße
zukommt, wie einem bewegten Körper, läßt die
Zweckmäßigkeit der Vorstellung schon deutlich zu Tage
treten.
Eine Kanone, die abgefeuert wird, erhält einen
Rückschlag: ebenso ein Körper, der einen Energiestrahl
aussendet. Und es ist doch wohl einleuchtender, von der
Bewegungsgröße zu sprechen, wenn sich die Energie wirklich
bewegt als wenn, wie es die Lorentz'sche Theorie will, es sich um
einen Vorgang handelt, bei dem der Äther in Ruhe bleibt und gar
keine reale Bewegung vorhanden ist.
Sie sehen also: bei
unendlich kleinen Geschwindigkeiten kann das Bild «Äther»
durch das Bild «Emission» ersetzt werden wenn wir nur im
Ausdruck der Kräfte durch die Lage, Geschwindigkeiten usw. sonst
nichts ändern. Aber auch dies ist nicht einmal nötig. Man
kann die absoluten Geschwindigkeiten, die in der Lorentz'schen Formel
für die Kräfte auftreten und die in der Emissionstheorie
keinen Sinn hätten, auf verschiedene Weisen durch relative
Geschwindigkeit ersetzen.
Gehen wir nun auf den Fall bewegter
Körper über, so wird sich zwar der Unterschied der
beiden Gesetze für die Lichtausbreitung geltend machen; bei
einer gleichförmigen Translation aber zu Gunsten der
Emissionstheorie, weil das Relativitätsprinzip erfüllt ist.
Ferner ist bekannt, wie einfach die Emissionshypothese die Aberration
erklärt; ihre Überlegenheit über die
Undulationstheorie in dieser Hinsicht hat Kirchhoff ausdrücklich
hervorgehoben. Eine nähere Betrachtung aller hierher gehörigen
Erscheinungen zeigt wirklich, daß man der Erfahrung vollständig
genügen kann.
Was nun weitere Vorteile der
Emissionshypothese gegenüber der Lorentz-Einstein'schen Theorie
betrifft, so scheint es mir, daß man den Vorteil für die
Ökonomie unseres Denkens nicht zu gering anschlagen darf.
Es wirkt sehr erschwerend, daß bei Behandlung irgend eines
Problems sich stets dieser Widerspruch zwischen unsern Vorstellungen
und den Gesetzen der neuen Kinematik geltend macht.
Ferner
möchte ich eine größere Symmetrie in der
Beschreibung der Vorgänge hervorheben. Betrachten wir zwei
gleichförmig bewegte Elektronen; nach dem alten
Relativitätsprinzip sollte sich für die Kraft, die das eine
auf das andere ausübt, ein Ausdruck ergeben, der nur von der
relativen Lage und Geschwindigkeit abhängt, und es ist für
eine Ungleichheit von Actio und Reactio gar kein Grund
vorhanden. Dem ist anders in der Lorentz'schen Elektrodynamik. Hier
hängen die Kräfte ab, nicht von der Relativgeschwindigkeit,
sondern von der Geschwindigkeit in bezug auf den Äther; es
ergibt sich im allgemeinen eine Ungleichheit von Actio und Reactio
auch bei gleichförmiger Bewegung. Dies hätte zur Folge, daß
ein gegen die Richtung der Erdbewegung schräg aufgehängter
Kondensator in geladenem Zustande eine andere Bewegungsgröße
hätte als im ungeladenen; bei der Entladung müßte er
einen Drehimpuls erfahren. Der Versuch ist von Trouton und
Noble ausgeführt worden: der Drehimpuls existiert nicht, und
somit auch nicht die Dissymmetrie der Kräfte, die ihn
hervorbringen sollten. Die Lorentz-Einstein'sche Relativitätstheorie
hebt nun nicht etwa die Dissymmetrie der ursprünglichen Formel
auf, sie kompensiert sie durch andere Dissymmetrien der
Molekularkräfte und scheinbare Dimensionsänderungen der
Körper. Dasselbe fand sich schon bei der Ausbreitung des
Lichtes: die Erfahrung erforderte, daß in einem bewegten System
die Ausbreitung des Lichtes symmetrisch vor sich gehe, wie in einem
unbewegten, während das gewöhnliche Gesetz der
Lichtausbreitung eine Dissymmetrie verlangt. Die Emissionshypothese
hebt nun die Dissymmetrie des Grundgesetzes einfach auf, während
die Einstein'sche Theorie sie durch die Dissymmetrie des
Zeitbegriffes kompensiert.
Der wichtigste Vorzug entsteht der
Emissionstheorie aus der Möglichkeit, die
Gravitationskraft auf elektrische Kräfte zurückzuführen,
und zwar in der Weise, daß sie die Gravitationskonstante a
priori aus elektrischen und molekularen Konstanten ableitet.
Die Elektronentheorie stellt sich bekanntlich jedes Atom vor
als aufgebaut aus positiven und negativen Ladungen, deren Summe Null
ergibt. Mit dieser Vorstellung hatten zwar schon Zöllner und
Mosotti versucht, die Gravitation zu erklären, indem sie
annahmen, daß die Anziehung entgegengesetzter Ladung die
Abstoßung gleicher Ladung um einen geringen Bruchteil
übersteige. Derselbe ist allerdings außerordentlich
gering, nämlich etwa der 10 -36te Teil.
Allein
es ist leicht einzusehen, daß dies nur ein anderer Ausdruck für
dieselben Tatsachen ist: die Gravitationskonstante ist nicht a
priori ableitbar aus andern. Anders in der Emissionshypothese.
Die Erscheinungen des Magnetismus erfordern nämlich,
daß einige dieser Ladungen sich in Bewegung befinden. Nehmen
wir an, um es mit einer bestimmten Vorstellung zu tun zu haben, daß
einige der positiven Ladungen mit sehr großer Geschwindigkeit
rotieren, und die Geschwindigkeit sei dieselbe für alle. Zwei so
konstituierte Atome werden zwar keine resultierende elektrostatische
Kraft ergeben, wohl aber eine elektrodynamische. Allerdings
haben wir es in Wirklichkeit immer mit Körpern zu tun, die eine
große Anzahl Atome enthalten, und die Rotationsachsen werden
alle möglichen Richtungen einnehmen: es muß das Mittel
gebildet werden. In der Lorentz'schen Theorie ergibt sich Null; denn
die Wirkung einer elektrischen Kraft auf eine Ladung ist unabhängig
von ihrer Bewegung und hebt sich für die positiven und negativen
im Mittel heraus. Die Wirkung einer magnetischen Kraft daher
ist proportional der Absolutgeschwindigkeit der Ladung, und
dreht ihr Vorzeichen mit der Geschwindigkeit um. Entgegengesetzte
Rotationen, heben sich daher auf in ihrer Wirkung, es gibt keine
resultierende Kraft.
Allein schon die Weber'sche Theorie hatte
dieselben elektromagnetischen Kräfte durch die Einführung
bloß von Relativgeschwindigkeiten in dem Ausdruck der
Kraft dargestellt, und die Umkehrung der einen Geschwindigkeit kehrt
hier die Kraft nicht einfach um. Es fragt sich also, ob wir in dem
allgemeinen Ausdruck der Kraft, die zwei Elektronen
aufeinander ausüben, in der Emissionstheorie nicht solche
Glieder einführen können, ohne mit der Erfahrung in Konflikt
zu kommen, die von der Relativgeschwindigkeit abhängen und bei
der Mittelwertbildung nicht Null ergeben. Dem ist wirklich zo, z. B.
sind Glieder möglich, die der Relativgeschwindigkeit zur vierten
Potenz direkt proportional sind, dem Quadrat der Entfernung
umgekehrt; und die Kraft liegt in der Verbindungslinie. Der
Mittelwert ist von Null verschieden; da diese Glieder vierter Ordnung
sind, ergeben sie, wie es ja sein muß, eine verhältnismäßig
außerordentlich kleine Kraft. Der Koeffizient hängt ab von
der Anzahl rotierender Ladungen und den Quadraten dieser universell
gedachten Rotationsgeschwindigkeiten. Es genügt, in jedem Atom
die Anzahl der rotierenden Ladungen proportional der Masse
anzunehmen, um das Gravitationsgesetz zu erhalten und den Wert der
Gravitationskonstante, ausgedrückt durch elektrische und
molekulare Konstanten.
Damit wäre die
Gravitationsenergie auf elektrische Energie zurückgeführt;
gleiches gilt schon von der kinetischen (durch den Begriff der
elektromagnetischen Masse) und den andern Energieformen. So eröffnet
sich uns die Hoffnung, daß die Naturvorgänge dem Postulat
der Einheit der Energie genügen, ein Postulat, das in der
wohl zu speziellen Form, daß alle Energie kinetische sein
müsse, von Lord Kelvin, Heinrich Hertz und andern aufgestellt
worden ist. Gleichzeitig dürfen wir erwarten, daß die
Verteilung und Bewegung der Energie im Raume bei der Beschreibung der
Naturvorgänge ein besonders einfaches Element sein wird.