Energieversorgung im 21. Jahrhundert



Quelle:
Bölkow, Ludwig (1987): „Energieversorgung im nächsten Jahrhundert",
DABEI-Handbuch für Erfinder und Unternehmer,
VDI-Verlag GmbH, Düsseldorf 1987




Energie ist die Basis für das menschliche Leben und für die meisten technischen Prozesse.


1.1 Das Versorgungsproblem:
Die Welt bezieht zur Zeit 90% ihrer Energie aus der Verbrennung von in vergangenen Jahrmillionen entstandenen fossilen Stoffen wie Kohle, Öl und Gas.

Selbst wenn es gelingt, die Abgase mit sehr hohen Kosten von Schwefeldioxid, Stickoxiden, Staub und weiteren ökologischen Schadstoffen zu reinigen, so bleiben für die Zukunft zwei Fragen offen:

- Die wirtschaftlich zu gewinnenden Vorräte an fossilen Stoffen sind begrenzt. Wir sind bei vielen im Laufe des 21. Jahrhunderts am Ende.

- Die steigende Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre verringert ihre Durchlässigkeit für die Wärmerückstrahlung, so daß ihre Temperatur und die der Erdoberfläche ansteigt. Es besteht die Gefahr, daß die Polkappen abschmelzen und der Wasserspiegel der Weltmeere ansteigt (Stichwort: Hamburg und Köln unter Wasser).

Es gibt im Grunde nur zwei Auswege: Kernenergie und/oder Sonnenenergie.
Da Strom nicht auf billige Weise speicherbar ist und die Sonnenenergie Zyklen hat, erfordert die Anwendung der einen wie der anderen Energiequelle einen speicherbaren, für den Transport geeigneten und vor allem umweltfreundlichen Energieträger - hier bietet sich der Wasserstoff an. Beim Verbrennen von Wasserstoff entsteht reines Wasser.
Der Energiebedarf wird sich wegen der Zunahme der Weltbevölkerung und des Nachholbedarfs des Prokopfverbrauches in der Dritten Welt bis Mitte des 21. Jahrhunderts mindestens verdoppeln.

Bei allen Überlegungen muß man den Zeitfaktor berücksichtigen. Für den Übergang von einer Energieform auf eine andere, also von Holz auf Kohle, von Kohle auf 01 und von Öl auf Gas, vergingen in der Vergangenheit bis zu Erreichung von 50% des Marktes jeweils 50 bis 70 Jahre. Für Kern- und Sonnenenergie müssen - schon wegen der erwähnten unaufhaltsamen Steigerung des Energiebedarfs infolge des Bevölkerungszuwachses - mindestens ähnliche Zeiträume angenommen werden. Es ist daher notwendig, daß innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre eine Entscheidung gefällt wird, welchen Weg wir gehen. Kapital für Investitionen haben wir aber nur für einen Weg. Eine Jahrhundert-, fast kann man sagen eine Jahrtausendentscheidung! Sie muß gefällt werden, wenn wir den Generationenvertrag ernst nehmen.

Von der Mitte des 21. Jahrhunderts aus gesehen heißt das, daß wir heute nicht sehr früh, sondern bereits sehr spät dran sind.

1.2 Kostengrößenordnungen:
Verschiedene Abschätzungen zeigen, daß eine Lösung durch Kernenergie wie durch Sonnenenergie in einer annähernd gleichen Größenordnung liegen.

Nuklear:
Schätzen wir den jährlichen Weltverbrauch an Gas und Öl um 1990, umgerechnet auf Öl, auf rund 5 mal 109 t. Um diese Energie durch mit Hilfe von Kernkraftwerken erzeugten Wasserstoff zu ersetzen (Zitat Dahlberg), „müßte man weltweit eine zusätzliche nukleare Kraftkapazität von mehr als 10 000 Gigawatt (1013 Watt) installieren". Bei der Lebensdauer eines Kernkraftwerkes von - optimistisch betrachtet - vielleicht einmal 50 Jahren, hieße es, pro Jahr 200 Gigawatt nukleare Kapazität zu installieren, um in 50 Jahren die genannte Kapazität aufgebaut zu haben. Sollten Planungs- und Bauzeiten auf fünf Jahre schrumpfen, so waren immerhin laufend rund 1 000 Kernkraftwerkseinheiten von 1 000 Megawatt im Bau. Und das dann auch noch in 50 Jahren für alle kommenden Zeiten. Es sei recht zu verstehen, dies betrifft keinesfalls den gesamten Energiebedarf. Zum Beispiel Kohle ist überhaupt nicht enthalten und auch Strom nicht.

Die Kosten von Tausenden von Milliarden seien nur erwähnt, um die notwendigen Größenordnungen in unser Bewußtsein zu bringen und um zu zeigen, daß das Energieproblem des 21. Jahrhunderts, vor allem sein Wärmemarkt, jeden bisher gewohnten politischen und wirtschaftlichen Rahmen sprengt.

Solarenergie:
Die Wasserstofferzeugung durch Solarenergie führt neben anderen und noch zu erwähnenden Lösungen als ein klar zu erkennender Weg über die Fotozelle und die Elektrolyse. Beides sind heute verfügbare Techniken. Es ist zu erwarten, daß sich der Wirkungsgrad der Fotozellen, das heißt der Flächenbedarf und auch ihre Wirtschaftlichkeit durch die Kostensenkung bei Massenfabrikation ganz erheblich verbessern.

Ein grundsätzlicher Nachteil der Sonnenenergie gegenüber der Kernkraft ist die geringere Energiedichte pro qm genutzter Fläche. Die Sonneneinstrahlung schwankt bekanntlich zwischen 100 Watt pro Jahresstunde in Mitteleuropa bis zu 250 Watt in Nordafrika.

Natürlich ist die kritische Frage angebracht, wie groß der Flächenbedarf ist? Überraschend zeigt sich, daß - mehrfach errechnet - für eine totale Energieversorgung der Welt mit Wasserstoffgas, gewonnen durch Fotovoltaik, zur Zeit eine Fläche von ungefähr in der Größenordnung von 0,5 % der gesamten Landflächen benötigt wird. Ein Wert, der den Siedlungsflächen (Bauten und Straßen) von heute entspricht. Dies sei nur gesagt, um eine Größenordnung zu nennen. Ein globales Flächenproblem gibt es also nicht. Das kleine Quadrat in der Mitte des Atlantiks auf der Abbildung 1 entspricht diesem Wert.

Abb. 1. Linien gleicher Sonnenintensität (W)


1.3 Material und Energiebedarf:
Verschiedene neuere Berechnungen haben ergeben, daß bei dem Jahrzehnte dauernden Aufbau der Kapazität zum Ersatz von Öl und Gas durch fotovoltaisch erzeugten Wasserstoff nur wenige Prozente des industriellen Bedarfs an den notwendigen Stoffen benötigt werden. Nur bei Glas und bei dem Material für die Fotozellen, wie zum Beispiel Silizium, ist eine Steigerung der Produktion notwendig. Großtechnische Sonnenenergienutzung ist also ohne entscheidende zusätzliche große industrielle Kapazitäten möglich. Im übrigen kann das Material wieder weitgehend nach Gebrauch von vielleicht 30 Jahren recycliert werden, das heißt, es gibt keine Endlagerungsprobleme.

1.4 Flächen und Kosten:
Dahlberg hat in seiner schon zitierten Denkschrift einmal überschlägig ermittelt, daß für den Ersatz von 143 Millionen Tonnen Öl - der Bedarf von 1979/80 in der BRD - durch Fotovoltaik bei einem Wirkungsgrad von nur 5 % eine Fläche von 140 x 140 km und ein Kapitalbedarf von ungefähr 1 000 Milliarden DM aufzuwenden sind. Bei den heute schon laufend erreichten Verbesserungen im Wirkungsgrad ergäbe sich schon zumindest eine Halbierung der Flächen und Kosten, das heißt 500 bis 600 Milliarden DM werden dann noch benötigt.

Dies sind Werte, die eine ähnliche Größenordnung wie bei der nuklearen Herstellung des Wasserstoffes ergeben. Dasselbe gilt natürlich auch global.



Wir erschrecken zwar, wenn von tausenden Milliarden DM gesprochen werden muß. Wir vergessen aber dabei, daß es sich um Zeiträume von vielleicht 70 bis 90 Jahren handelt und daß solche Investitionen angesichts der Endlichkeit der fossilen Stoffe und der Gefahr der Kohlensäure in der Luft eine Unausweichlichkeit darstellen.

Es erhebt sich die Frage, was in der Zwischenzeit, das heißt bis sich eine oben angedeutete Wasserstoffwelt in aller Breite verwirklichen läßt, auf dem Solargebiet noch als Übergang oder auch später als additive Solarnutzung neben der fotovoltaischen Wasserstoffwelt Bestand hat.

Zwei Schwierigkeiten hat die Solarnutzung heute:
Die Möglichkeiten ihrer Anwendung sind - wie aus der Abb. 2 zu ersehen ist - so vielfältig, daß sich ein Nichtfachmann kaum ein Bild machen kann, welche Lösung für den gegebenen Fall das Optimum darstellt.

Abb. 2. Von der Sonne gespeiste Energiequellen



Die Vielfalt bietet noch für Jahrzehnte viele Chancen für schöpferische Lösungen. Drei Beispiele für die Sonnenenergie seien aufgeführt:

Windenergie
Große (2 bis 3 MW) und vor allem kleine und mittlere Anlagen (bis zu 20 kW) stehen heute schon einige Tausend, im wesentlichen sogar nicht einmal in „Insellagen", in Europa und in Amerika. Sie stellen inzwischen zum Beispiel für Dänemark einen Export in vielfacher Millionen Höhe dar. Zur Windenergie ist noch zu bemerken, daß sich natürlich auch hier zum Ausgleich der Windzyklen für die Energiespeicherung und für den Transport der genommenen Energie die Wasserstoffwelt anbietet.



Wasserstoffwerke
Mit billigem Strom aus Wasserkraftwerken, zum Beispiel in Kanada, in Grönland, im Kongo und noch an vielen Stellen der Welt, läßt sich eine Wasserstoffwelt bewerkstelligen. Der Transport könnte dann per Gasleitung, flüssig im Schiff und vielleicht im Flugzeug in Zukunft zu den Industriezentren erfolgen.

Solarthermische Anlagen
Eine heute schon erprobte Technik von kleinen Wärmekollektoren für Brauchwasser und Heizung bis zu Großanlagen für Stromerzeugung. Auch hier bietet sich für den letzteren Fall die Umformung des Stromes in Wasserstoff als eine adäquate Lösung an.
Von der Kostenseite her gesehen ist der Einsatz dieser Techniken in Gebieten, in denen klassische fossile Stoffe noch wirtschaftlich und erhältlich sind, oder akzeptierte Kernkraft in der Nähe verfügbar ist, wirtschaftlich heute noch nicht gegeben. Bei Insellösungen, fern von vorhandenen Versorgungsnetzen - es existieren eine Menge -, gibt es sie allerdings heute schon. Leider wird sie noch zu wenig genutzt.
Bei den Kosten ist noch zu erwähnen, daß bei voller betriebs- und insbesondere volkswirtschaftlicher Rechnung der klassischen und der nuklearen Energiestoffe, das heißt einschließlich der Beseitigung der ökologischen und sozialen Schäden und auch einschließlich der Abbruch- und Endlagerungskosten, heute schon in sehr vielen Fällen die Wirtschaftlichkeit gegeben ist. So gesehen werden - vor allem in der Öffentlichkeit - die Sonnenenergie bzw. die Kostenvergleiche fast immer zu schwarz für die Sonnenenergie dargestellt.
Kehren wir zur Wasserstoffwelt zurück. Neben der Fotozelle gibt es auch andere solare Wege zur Wasserstoffgewinnung und gegebenenfalls zur Einspeisung in Naturgas- bzw. Wasserstoffnetze. Einige Bemerkungen möchte ich noch zum Stand der Technik des Einsatzes von Wasserstoff als vielseitigen Energieträger und Rohstoff machen.

- Erfahrungen mit dem Transport: Viele kennen sicherlich die von Messer-Griesheim errichteten, mehrere 100 km langen Wasserstoff-Druckgasleitungen von Leverkusen rheinabwärts, mit Verzweigungen zu den chemischen Werken im nördlichen Teil des Reviers. Die Leitungen existieren seit 50 Jahren. Der Betrieb lief bis heute - sogar während der Kriegszeit - problemlos.

- Das früher verwendete Stadtgas in unseren Städten hatte bereits einen Wasserstoffanteil von 60 bis 80 %. Diese Erfahrungen sowie neue Entwicklungen zeigen, daß Wasserstoff für die universelle Anwendung im Haushalt geeignet ist. Es gibt heue schon kleine Druckelektrolyse-Anlagen, die bis zu 200 bar arbeiten. Auf diesem Weg kann man bei dezentralen fotoelektrischen Kleinanlagen ohne Pumpen in Druckspeicher oder Leitungsnetze einspeisen. Dies bedeutet, daß schon Kleinanlagen mit einem Gasnetz zusammenarbeiten können. Die nutzbaren Flächen für dezentrale Anlagen in der BR-Deutschland sind von beachtlicher Größenordnung, Dächer, Wände, Verkehrsflächen, soziale Brache der Landwirtschaft usw.

- Beim Einsatz für die Erzeugung von Raumwärme und Brauchwasser, für die heute immer noch ca. 50 % der Endenergie in der BR-Deutschland verbraucht werden, ist die Verbrennung von Wasserstoff bei niedrigen Temperaturen mit billigen Katalysatoren technisch gelöst, so daß keinerlei Stickstoffoxid-Emissionen auftreten. Solche Katalysatoren können auch als Sicherheitseinrichtungen eingesetzt werden. Sie machen kritische Konzentrationen in Räumen unmöglich. Zur Erzeugung von Hochtemperatur-Prozeßwärme können entweder reiner Sauerstoff zur vollständigen Vermeidung von Schadstoffen oder die heute üblichen Methoden zur Abgasreinigung von Stickoxiden angewendet werden.

- Das heutige Gasnetz kann mit kleinen Änderungen weitgehend für Wasserstoff genutzt werden. Um den Übergang zu erleichtern, sollten alle noch zu installierenden Leitungen in Zukunft wasserstoffest ausgelegt werden. Gasleitungen lassen sich in Zukunft durch parallel zu den Röhren verlegte Spezialkabel auf Leckagen überwachen.

- Speicherung: Wasserstoff hat die gleichen Speichermöglichkeiten wie Naturgas, so daß das gesamte Rohrleitungsnetz sowie vorhandene und noch anzulegende Kavernen als Untertagespeicher mitbenutzt werden können. Meines Wissens wird in England noch Stadtgas mit dem schon erwähnten hohen Wasserstoffanteil in einem leeren Gasfeld gespeichert.

- Für den Fahrzeugantrieb gibt es Methoden verschiedenster Art (Kryogenspeicher, Absorptionsspeicherung). Die Lösungen sind technisch heute schon brauchbar, wirtschaftlich sind sie noch nicht.

- In Zukunft wird die Technik der Brennstoffzelle möglicherweise so verbessert, daß die Direktumwandlung von Wasserstoff und Sauerstoff in Strom effizienter als der Umweg über die Verbrennung ist, das heißt ohne Gas- oder Dampfturbine. Die Brennstoffzelle, ein chemisch-physikalischer Prozeß, ist - wie sich vielleicht einige von Ihnen erinnern - bei den Mondlandungen im Rahmen des Apollo-Programms erfolgreich benutzt worden.

- Der technisch problemlose Übergang von elektrischem Strom zu Wasserstoff und umgekehrt von Wasserstoff zu Strom zeigt, wie schon erwähnt, einmal die Möglichkeit der Parallelität eines Wasserstoff-Gasnetzes zum Stromnetz, das hohe Grundlast fahren kann und einen Spitzen- und Täler-Ausgleich über den Wasserstoff ermöglicht. Zum anderen wirft er die Frage auf, ob es nicht wirtschaftlicher und umweltfreundlicher ist, für den Energietransport über größere Entfernungen als 400 km und mehr generell ein Wasserstoffnetz anstatt eines elektrischen Netzes mit seinen hohen Abstrahlungsverlusten zu verwenden.

- Wasserstoff ist auch als Reduktionsmittel in der Eisen- und Stahlerzeugung universell einsetzbar und kann also auch auf diesem, bisher der Kohle und dem Naturgas vorbehaltenen Anwendungsgebiet den Rohstoff ersetzen.

Zum Schluß sei, um das Problem nicht zu übersehen, das Gebiet der Architektur und der Gebäudetechnik erwähnt, das große lnnovationsreserven für die engere und weitere Zukunft birgt.

Die passive Energienutzung, Isolierung und Ausnutzung des Treibhauseffektes, Luftzwangsumlauf und Wärmerückgewinnung. Die Senkung des Heizungsbedarfes auf 20 % der heutigen Durchschnittswerte ist für die Zukunft keine Illusion mehr.






Homepage