Das Inertial-System
von Professor Dr.
Bruno Thüring,
ehemaliger Direktor der
Universitäts-Sternwarte Wien
Quelle:
THÜRING,
B. (1967): "Die Gravitation und die philosophischen Grundlagen
der Physik", Verlag Duncker & Humblot, Berlin, Seiten 75 -
77 und 234 - 240.
Es ist eine
konkret-philosophische, metaphysische Einstellung der modernen
theoretischen Physik und Astronomie, nämlich der Empirismus,
welcher die Einsicht in die methodische Natur des
Fundamental-Koordinatensystems (FKS) (siehe THÜRING, B.
(1967): "Die Gravitation und die philosophischen Grundlagen der
Physik", Verlag Duncker & Humblot, Berlin, Seiten 52 - 74)
heute noch verhindert und dafür eine Reihe von
Inkonsequenzen und Verstößen gegen das Prinzip von der
pragmatischen Ordnung, also pragmatische Zirkel, als Stellen
dauernder Schwierigkeiten in Kauf nimmt. Da hinter dieser
Einstellung das Weltbild der großen Weltmaschine steht
oder wenigstens die Überzeugung von der allgemeinen und ewigen
ontologischen Geltung der mechanischen Gesetze, ist es von diesem
Standpunkt aus nur folgerichtig, zu versuchen, auch das FKS mit
diesen mechanischen Grundgesetzen der Natur zu verknüpfen
und auf ihrer Basis empirisch zu ermitteln.
Dies
geschah zunächst in der Definition des sog. Inertial-Systems
von L. Lange (1885):
Von dem Gedanken ausgehend, daß
der Trägheits-Satz der Newton'schen Physik ein universelles
Naturgesetz im ontologischen Sinne sei, soll das fundamentale
Koordinatensystem (FKS) dadurch gewonnen werden können, daß
man drei Körper sich kräftefrei nach verschiedenen
Richtungen bewegen läßt. Dann müssen nach dem
Trägheits-Gesetz die Bahnen dieser drei Körper gerade
Linien sein, welche als die drei Koordinaten-Achsen eines
"Inertialsystems" aufgefaßt werden können. Alle
anderen Körper bewegen sich dann gegen dieses Koordinatensystem
gemäß dem ebenfalls empirisch-ontologisch aufgefaßten
(zweiten) Newton'schen mechanischen Grundgesetz:
Kraft = Masse ´ Beschleunigung.
Oft liest man daher
als kurze Definition eines Inertialsystems: "Ein Bezugssystem,
in welchem das Newton'sche mechanische Grundgesetz Kraft = Masse
mal Beschleunigung gilt."
Nach der empiristischen
Natur- und Wissenschafts-Auffassung hat aber auch das Newton'sche
Gravitationsgesetz eine empirisch-ontologische Realität, die
unabhängig vom Trägheitssatz besteht und vor allem in
kosmischen Bereichen von Bedeutung ist. Daher hat E. Anding
(1905) im Astronomischen Bande der "Encyclopädie der
mathematischen Wissenschaften" eine andere Definition des
Inertialsystems gegeben, die heute noch volle Anerkennung in der
Astronomie genießt:
"Formuliert man den Inhalt der
Himmelsmechanik so, daß sie die Bewegungen der Himmelskörper
durch das Newton'sche Gesetz darstellen soll, so fehlt hier
eine Angabe über das Koordinatensystem . . . . . Es ist
konsequent, wenn man die Definition mit den Worten fortsetzt: indem
man neben den Konstanten der Darstellung gleichzeitig eben dasjenige
Koordinatensystem . . . . aus den Beobachtungen mitbestimmt, für
welches diese Darstellung möglich ist . . . . . Ist diese
Darstellung vollzogen, so bezeichnen wir dieses
Koordinatensystem als das Inertialsystem, die
Ortsveränderung relativ zu ihm als Bewegung."
(Hervorhebungen von Anding).
Merkwürdigerweise
hat m. W. noch niemand darauf aufmerksam gemacht, daß
diese beiden Definitionen des Inertialsystems gar nicht identisch
sind. Aber das Gemeinsame beider Definitionen besteht immerhin darin,
daß der Begriff der "Kraft" Verwendung findet; denn
in empiristischer Sicht ist die Gravitation eine "Kraft".
Und darin liegt nun der wesentliche und entscheidende Unterschied des
Inertialsystems gegenüber unserem FKS:
Der Begriff des
Inertialsystems setzt eine exakte Definition des Kraftbegriffs
voraus, während das beim FKS nicht der Fall ist.
Die
Realisierung des Inertialsystems in der Wirklichkeit verlangt daher
die Messung von Kräften. In der Definition von Anding
drückt sich dieser Umstand durch die Bezugnahme auf das
Newton'sche Gravitationsgesetz aus, dessen empirische
universelle Geltung hier vorausgesetzt wird:
Das Anding'sche
Inertialsystem der Astronomie steht und fällt mit der
Möglichkeit, die universelle Geltung des Newton'schen
Gravitationsgesetzes empirisch zu sichern.
Gleichzeitig
erhebt sich die Frage nach der praktischen Entscheidung zwischen den
beiden Koordinatensystemen, da sie ja beide für sich
fundamentale Bedeutung beanspruchen.
Hier sind
zwei Fälle denkbar:
1. Entweder es ergibt sich bei der
praktischen Ermittlung des Inertialsystems, daß es sich
gegen das FKS nicht dreht.
2. Oder aber es ergibt sich, daß
Inertialsystem und FKS sich gegenseitig drehen. Dann würde
sich eine prinzipielle Uneindeutigkeit des Bewegungsbegriffes infolge
des Fehlens eines letzten übergeordneten Koordinatensystems
herausstellen, zu deren Beseitigung keine methodischen Mittel
mehr zur Verfügung ständen.
Dieser zweite Fall
könnte aber nur dann eintreten, wenn es gelänge, die
logische und pragmatische Voraussetzung des Inertialsystems, nämlich
den Kraftbegriff, ohne Bezugnahme auf ein Koordinatensystem zu
gewinnen und Kräfte ohne eine solche Bezugnahme zu messen. Von
dieser Frage hängt also alles weitere ab.
L.
Lange hat - wie gesagt - 1885 den Begriff des Inertial-Systems
geschaffen, der auf dem Newton'schen Trägheits-Gesetz beruht. E.
Anding hat später (1905) diesen Begriff anders, nämlich
mit Hilfe des Newton'schen Gravitations-Gesetzes, definiert. Beiden
Definitionen gemeinsam ist die empiristische Unterstellung, daß
man Kräfte in der Natur sozusagen "vorfinde" und man
daher in dieser Hinsicht auf kein Koordinatensystem angewiesen sei.
Demgegenüber haben nun unsere Überlegungen ergeben,
daß die Definition des physikalischen Kraft-Begriffs
bereits von der Existenz eines Fundamental-Koordinaten-Systems
Gebrauch machen muß, sei es, daß man den Newton'schen
Kraftbegriff verwendet, der die Gravitation mit umfaßt und
wegen der mangelnden Massendefinition beim Begriff der Kräftefreiheit
in logische Schwierigkeiten gerät, sei es, daß man den
neuen eingeschränkten methodischen Kraftbegriff verwendet. In
jedem Falle werden Kräfte durch Beschleunigungen gemessen,
welche ihrerseits zu ihrer empirischen Feststellung bereits ein FKS
benötigen. Kräfte und FKS aus gemessenen
Bahnbewegungen eindeutig ermitteln zu wollen (wie es z. B. E.
Anding versucht), eine Tendenz, die für den Empirismus
charakteristisch ist, ist genau so aussichtslos, wie eine eindeutige
Berechnung zweier Unbekannten aus einer einzigen Gleichung1).
Wie sehr die heutige empiristische Schulmeinung an dieser
Stelle in die Enge getrieben ist (ohne aber die nötigen
Konsequenzen zu ziehen), zeigen z. B. die schon früher zitierten
und die heutige Situation trefflich wiedergebenden Ausführungen
in der 11. Auflage von Littrow: Die Wunder des Himmels (1963)
(K. Stumpff), welche Seite 222 mit den Worten beginnen:
"Man dreht sich gewissermaßen im Kreise: Um die festen
Richtungen im Raume zu finden, die das Fundamentalsystem tragen,
haben wir nur bewegte Merkzeichen (die Sterne) zur Verfügung. Um
aber Art und Größe dieser Bewegungen richtig beurteilen zu
können, müßte man jene festen Richtungen schon
kennen, die man sucht. Es ist uns also ein Rätsel aufgegeben,
das man nur lösen kann, wenn man es schon gelöst hat!"
Es ist daher nicht verwunderlich, daß alle Versuche des 19. und
20. Jahrhunderts, ein "Inertial-System" aus den
Bewegungen der Planeten zu ermitteln, gescheitert sind. Die
Geschichte dieser Bemühungen ist ein lehrreiches Beispiel für
die Widersprüchlichkeit empiristischen Denkens:
Die
Bewegungen der Planeten waren zunächst auf ein
Koordinatensystem bezogen, wie es oben Seite 59 ff. behandelt
worden ist; in der Literatur führt es den Namen "empirisches
System" (ebenfalls von E. Anding stammend), eine
Bezeichnung, welche bereits deutlich die empiristische
Begriffsverwirrung zeigt. Es war und ist mittels lückenhafter
Methodik aus den gegenseitigen Bewegungen der Fixsterne gewonnen und
enthält willkürliche, unbegründete Elemente. Nun
sollten ja nach dem empiristischen Grundprinzip das Newton'sche
Gesetz in seiner Geltung innerhalb des Planetensystems
einerseits und die scheinbaren Bewegungen innerhalb des
Fixstern-Komplexes andererseits logisch nichts miteinander zu tun
haben; daher stellte bereits E. Anding die Frage, ob und mit
welchem Betrage sich das "Inertial-System" und das
"empirische System" gegeneinander drehen. Denn es
wäre "eine unbewiesene Voraussetzung, daß der
Komplex der Fixsterne gegen das Inertialsystem in Ruhe sei".
Anding zeigte nun (Enzykl. d. math. Wiss. VI/2,1
(1905)), daß eine eventuelle Drehung dieser beiden K-Systeme
sich in einer ständigen Veränderung (Bewegung) der
Lage der Perihelien der Planeten sowie in ständigen
Veränderungen ihrer Bahn-Ebenen - mindestens in einem von diesen
Effekten - ausdrücken müsse, relativ zum "empirischen
System"; in der Tat lagen damals unerklärte Veränderungen
("Anomalien") dieser Art vor, welche Newcomb Ende
des 19. Jahrhunderts an der Bahn des Merkur, der Venus und des Mars
gefunden hatte. Aber es war nicht möglich, alle diese
Orientierungs-Anomalien durch eine bestimmte Drehung des
Koordinatensystems zu ersetzen; E. Anding entschloß
sich daher, die größte von ihnen, nämlich die
Anomalie des Merkur-Perihels, wegzulassen. Mit dieser
Willkür-Entscheidung gelangte er dann zu einer Drehung der
beiden Koordinaten-Systeme von 7.3" pro Jahrhundert (±2.3")
im Sinne einer rückläufigen Bewegung der Gesamtheit der
Fixsterne gegen das Inertialsystem.
Aber da erhob sich nun
das neue Problem, wie denn ein so seltsames Verhalten der Gesamtheit
der Fixsterne zu erklären sei. Vor dieser Frage kapitulierte E.
Anding. Den von ihm fallengelassenen Faden nahm Hugo v.
Seeliger 1906 wieder auf (Sitzungsberichte der Bayerischen
Akademie der Wiss., Bd. 36, Seite 85 und Seite 595). Er gewann die
wichtige Einsicht, daß eine Drehung der beiden
Koordinaten-Systeme dem Wirken "störender Kräfte"
(ohne Drehung des Koordinatensystems) mathematisch äquivalent
sei. Auch er konnte sich mit der Vorstellung "einer Drehung
des Fixsternhimmels um eine zur Ekliptik senkrechte Achse"
nicht befreunden und meinte, es könnten "noch rein
mechanische Vorgänge vorliegen, deren Einwirkung bisher nicht
berücksichtigt worden ist, wie dies ohne Zweifel bei der
Bewegung des Merkur-Perihels der Fall ist".
Diese
zusätzlichen mechanischen Vorgänge erblickte v. Seeliger
hypothetisch im Phänomen des Zodiakal-Lichts unter der Annahme,
daß es sich dabei um von der Sonne beleuchtete staubartige
Materie handle, die um die Sonne herum gelagert ist und über die
Erdbahn hinausreicht; diese Vorstellung entspricht auch heutigen
erweiterten Kenntnissen. H. v. Seeliger vermochte durch
spezielle Hypothesen über die Massenverteilung2)
dieser Zodiakal-Staubmaterie und Berücksichtigung dieser
zusätzlichen Gravitation alle zehn Newcomb'schen Anomalien
der Planetenbewegungen zu beseitigen, auch die
Merkurperihel-Anomalie - freilich nicht ohne zusätzlich zu einer
Drehung der beiden Koordinatensysteme im Betrage 5.7" pro Jhdt.
(±1.7") seine Zuflucht nehmen
zu müssen. Und damit war das Unbefriedigende der Situation doch
wieder nicht beseitigt, da das Problem einer rückläufigen
Bewegung der Gesamtheit der Fixsterne gegen das Inertialsystem nach
wie vor bestand und keine Handhabe zur Lösung bot.
Es
wurde nun längere Zeit still um diese Dinge, bis J.
Bauschinger 1919 und 1922 (Encyclop. der mathem. Wiss. VI2
17 Seite 886 und "Die Naturwissenschaften" Bd. X S. 1009)
eine radikale Wendung der Auffassung vollzog. Für ihn war
es nun nicht mehr eine unbewiesene Voraussetzung, daß "der
Komplex der Fixsterne gegen das Inertialsystem in Ruhe sei",
sondern Bauschinger stellte die Forderung auf, das
Newton'-sche Gesetz so zu ändern, daß das dadurch
definierte neue Inertialsystem möglichst "nahe mit
dem empirisch bestimmten zusammenfällt". Bauschinger
betrachtete sein Vorgehen natürlich von dem allgemein für
selbstverständlich gehaltenen empiristischen Standpunkt aus als
hypothetisch-induktiv; in Wirklichkeit aber änderte er das
Axiomen-System der Mechanik, indem er (unbewußt) einen anderen
Massenbegriff einführte. Auch der praktische Erfolg
seiner Maßnahme war sehr anfechtbar: Zwar konnte er die Drehung
der beiden Koordinatensysteme auf 1.05" pro Jhdt.
herunterdrücken, aber nur durch eine recht willkürliche und
mit anderen Resultaten in Widerspruch stehende Änderung der
Erdmasse.
Aber die "Anomalien" der
Planetenbewegungen, auf deren Beseitigung man doch alle Hoffnung
gesetzt hatte, blieben im wesentlichen erhalten; die anomale
Perihelbewegung des Mars vergrößerte sich sogar um
50%; nur die Anomalie des Merkur-Perihels verschwand, aber
lediglich als zu erklärendes Phänomen; denn das
Gravitationsgesetz wurde so geändert, daß periheldrehende
Ellipsen ungestörte Bahnen waren. So war die anomale
Merkurperihelbewegung nun nicht mehr erklärungsbedürftig;
die Last der Erklärungsbedürftigkeit fiel auf das neue
Gravitationsgesetz und dieses blieb genau so unerklärt wie das
alte Newton'sche.
Wir wissen: Dieses praktische Versagen
langjähriger Bemühungen so bedeutender Forscher, wie es die
genannten gewesen sind, hat prinzipielle Gründe: Der
Massenbegriff ist mit dem Gravitationsgesetz axiomatisch verknüpft,
diese Verknüpfung ist empirisch weder verifizierbar noch
falsifizierbar. Das Gravitationsgesetz (als Axiom und Definition
des Massenbegriffs) kann daher niemals eine aus irgend einem
Gleichungssystem eindeutig bestimmbare Unbekannte sein.
Der
Begriff des "Inertialsystems" in der Fassung von L.
Lange andererseits ist widerspruchsvoll. Im Falle der
Gravitationsbewegung (Axiome II und VI) ergibt sich nämlich, daß
ein Körper nur dann in dauernder gleichförmiger und
geradliniger Bewegung (Beschleunigung = 0) verharren kann, wenn alle
anderen Massen = 0 sind, d.h. also, wenn er allein vorhanden
ist. Dies ist nicht nur eine ganz wirklichkeitsfremde
Vorstellung, sondern enthält auch einen Widerspruch, insofern
der Begriff und die Messung einer Bewegung (relativ zu etwas)
unmöglich würden; von solchen aber spricht doch der
Langesche Begriff. Drei Massen können sich also für
sich allein per definitionem niemals in geradlinigen Bahnen
gleichförmig bewegen.
Der Widerspruch löst sich
auf, wenn man vom neuen, eingeschränkten methodischen
Kraftbegriff (Seite 126 sowie Seite 94)
K = m · Bz
ausgeht. Aus ihm gewinnen wir den neuen Trägheitssatz, indem wir die Kraft K = 0 setzen, also die störungsfreie Bewegung betrachten. Sie ergibt sich zu
Bz = 0 ,
also keine
Zusatzbeschleunigung.
Damit kommen wir wieder zum Axiom II
bzw. VI, d.h. zur reinen Gravitationsbewegung als kräftefreier
Trägheitsbewegung im Sinne des neuen, eingeschränkten und
von Widerspruch und Pleonasmus befreiten methodischen Kraftbegriffs.
Die Anding'sche Fassung des Begriffs des
Inertialsystems ist zwar widerspruchsfrei, praktisch aber zwecklos;
denn ein Versuch zu seiner empirischen Ermittlung bedarf erstens
bereits eines fundamentalen Koordinatensystems mindestens für
Drehbewegungen (das FKS); ein zweites, von ihm verschiedenes und
unabhängiges, kann dann nicht ebenfalls "fundamental"
sein.
Es gibt dann nur zwei Möglichkeiten:
a)
das empirisch ermittelte Inertialsystem dreht sich nicht gegen das
FKS. Dann ist es eben mit ihm identisch (da Translationen in diesem
Zusammenhang keine Bedeutung haben);
b) es ergibt sich eine
"Drehung" des Inertialsystems gegen das FKS. Diese
Interpretation ist sinnlos. Sie muß (so, wie das schon
H. v. Seeliger als Möglichkeit erkannt hatte) dann
ersetzt werden durch die andere:
Drehungen sind immer
definitorisch Beschleunigungen, in unserem Falle Rest- und
Zusatz-Beschleunigungen Bz
, an denen die einzelnen Planeten beteiligt sind (z. B. die
Newcomb'schen Anomalien). Durch diese aber sind wiederum (singuläre)
Kräfte K
definiert, welche die Gravitationsbewegung des
Planetensystems stören. Sie gilt es näher zu
erforschen.
Inertialsysteme haben also keine vom FKS
unabhängige, schon gar keine ontologische Existenz; sie
sind keine "aus der Beobachtung zu erschließende
physikalische Realitäten", wie dies z. B. M. v.
Laue3) u. a. meinen. An dieser Tatsache scheitert auch
der Versuch (z.B. M. v. Laue, a.a.O.), dem relativistischen
Uhren-Paradoxon ("Zwillings-Paradoxon") als einem echten
Paradoxon zu entgehen.
So löst die Abwendung vom
Empirismus und die Hinwendung zu einer klaren methodischen
Begriffsbildung den Nebel um das Problem des Inertialsystems wie von
selbst auf. Der Gedanke einer Drehung des Inertialsystems gegen das
FKS ist ein schwerer Verstoß gegen das Prinzip von der
pragmatischen Ordnung und die Folge unvollständiger und
inkonsequenter Begriffsbildung. Das "Empirische" kann erst
dann zu seinem Recht kommen und den von ihm erwarteten Gewinn
bringen, wenn jener Verstoß und jene Unvollständigkeit im
allgemeinen Bewußtsein der Fachwissenschaftler
bereinigt sind.
Gerade die Problematik um das
"Inertialsystem" wäre geeignet, die längst
fällige Überwindung empiristischer Grundauffassungen zu
fördern.
Gemäß unserem neuen Trägheits-Satz
und dem neuen eingeschränkten methodischen
Kraftbegriff bewegen sich Körper auch im kräftefreien
Zustand ungleichmäßig auf gekrümmten Bahnen.
Wie sind nun geradlinig-gleichförmige Bewegungen
unter diesem Gesichtspunkt einzuordnen?
Eine gleichmäßig
durchlaufene gerade Bahnlinie ist auch hier (wie beim klassischen
Kraftbegriff) ein Grenzfall, indem entweder die anderen Massen
in (relativ zum betrachteten Bahnstück) sehr großem
Abstand sich befinden, die Gravitationsbahn sich daher auf
relativ weiter Strecke von einer Geraden nicht meßbar
unterscheidet, oder indem störende Kräfte eine solche
geradlinig-gleichförmige Bahn verursachen, womit diese natürlich
zum Gegenteil einer Trägheitsbewegung wird. Dies ist z.B. dann
der Fall, wenn eine Raumrakete automatisch ihren Triebwerkschub
in Abhängigkeit von dem jeweiligen Abstand der anderen Massen
entsprechend variiert. Der Verfasser hat Einzelheiten hierüber
in seiner Abhandlung: "Kompensationen von
Bahnstörungen durch kontinuierlichen
Raketenschub" ("Weltraumfahrt" 1954, Seite 103 -
108) mitgeteilt.
Anmerkungen
1) Siehe hierzu im
einzelnen: B. Thüring: "Fundamental-System und
Inertial-System" in "Methodos" Milano 1950, S. 265 -
283, sowie Fußnote 11 Seite 63.
2) Diese Hypothesen
müßten allerdings in ihren quantitativen Teilen neueren,
von C. Hoffmeister und v. Schewick (1939) gewonnenen
photometrischen Resultaten angepaßt werden, was bisher nicht
geschehen ist.
3) M. v. Laue: "Die
Relativitätstheorie I", Seite 3 und Seite 36. 6. Auflage,
Braunschweig 1955.