Die Gleichheit der trägen und schweren Masse

Ekkehard FRIEBE, München


Quelle:
FRIEBE, E. (1999): „Eine Alternative zur Lösung des Gravitationsproblems“,
Vortrag auf der DPG-Didaktik-Frühjahrstagung, Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, am 10. März 1999, 14:00 Uhr



Zusammenfassung

Schon Albert Einstein erkannte, daß die zu seiner Zeit übliche Interpretation von NEWTONs Gravitationsgesetz mittels absolutem Raum und Fernkräften zu Widersprüchen führte. Deshalb betrachtete er im Rahmen seiner allgemeinen Relativitätstheorie das Schwerefeld nicht als ein statisches sondern als ein dynamisches Phänomen und kam dadurch zu seinem „Prinzip der Gleichheit (Äquivalenz) der trägen und schweren Masse“ (Gedankenexperiment mit dem Lift). In vorliegender Untersuchung wird dieser Gedanke weitergebildet. Es wird gezeigt, daß nicht nur der Begriff des „absoluten Raumes“ entbehrlich ist sondern daß auch die Annahme von „Fernkräften“ oder eines „kosmischen Mediums“ oder eines „gekrümmten Raumes“ entfallen kann. Diese Lösung des Gravitationsproblems ergibt sich dadurch, daß man die Eigenrotation der Himmelskörper berücksichtigt, die sowohl von NEWTON als auch von EINSTEIN vernachlässigt wurde. Berücksichtigt man nämlich diese Eigenrotation, so ergibt sich die krummlinige Bewegungsbahn der Himmelskörper ganz von selbst.



EINSTEINs Gedankenexperiment

In seinem Buch von 1917: „Über die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie - (Gemeinverständlich)“ schreibt ALBERT EINSTEIN im § 20 unter der Überschrift: „Die Gleichheit der trägen und schweren Masse als Argument für das allgemeine Relativitätspostulat.“ (Zitat von S. 45/46):

>>Wir denken uns ein geräumiges Stück leeren Weltraumes, so weit weg von Sternen und erheblichen Massen, daß wir mit hinreichender Genauigkeit den Fall vor uns haben, der im Galileischen Grundgesetz vorgesehen ist. Es ist dann möglich, für diesen Teil der Welt einen Galileischen Bezugskörper zu wählen, relativ zu welchem ruhende Punkte ruhend bleiben, bewegte dauernd in geradlinig gleichförmiger Bewegung verharren. Als Bezugskörper denken wir uns einen geräumigen Kasten von der Gestalt eines Zimmers; darin befinde sich ein mit Apparaten ausgestatteter Beobachter. Für diesen gibt es natürlich keine Schwere. Er muß sich mit Schnüren am Boden befestigen, wenn er nicht beim leisesten Stoß gegen den Boden langsam gegen die Decke des Zimmers entschweben will.

In der Mitte der Kastendecke sei außen ein Haken mit Seil befestigt und an diesem fange nun ein Wesen von uns gleichgültiger Art mit konstanter Kraft zu ziehen an. Dann beginnt der Kasten samt dem Beobachter in gleichförmig beschleunigten Fluge nach „oben“ zu fliegen. Seine Geschwindigkeit wird im Laufe der Zeit ins Phantastische zunehmen - falls wir all dies beurteilen von einem anderen Bezugskörper aus, an dem nicht mit einem Stricke gezogen wird.

Wie beurteilt aber der Mann im Kasten den Vorgang? Die Beschleunigung des Kastens wird vom Boden desselben durch Gegendruck auf ihn übertragen. Er muß also diesen Druck mittels seiner Beine aufnehmen, wenn er nicht der ganzen Länge nach den Boden berühren will. Er steht dann im Kasten genau wie einer in einem Zimmer eines Hauses auf unserer Erde steht. Läßt er einen Körper los, den er vorher in der Hand hatte, so wird auf diesen die Beschleunigung des Kastens nicht mehr übertragen; der Körper wird sich daher in beschleunigter Relativbewegung dem Boden des Kastens nähern. Der Beobachter wird sich ferner überzeugen, daß die Beschleunigung des Körpers gegen den Boden immer gleich groß ist, mit was für einem Körper er auch den Versuch ausführen mag.


BILD 1: Massen-Äquivalenz


Der Mann im Kasten wird also, gestützt auf seine Kenntnisse vom Schwerefelde, wie wir sie im letzten Paragraphen besprochen, zu dem Ergebnis kommen, daß er samt dem Kasten sich in einem ziemlich konstanten Schwerefeld befinde. Er wird allerdings einen Augenblick verwundert sein darüber, daß der Kasten in diesem Schwerefeld nicht falle. Da entdeckt er aber den Haken in der Mitte der Decke und das an demselben gespannte Seil, und er kommt folgerichtig zu dem Ergebnis, daß der Kasten in dem Schwerefeld ruhend aufgehängt sei.

Dürfen wir über den Mann lächeln und sagen, er befinde sich mit seiner Auffassung im Irrtum? Ich glaube, wir dürfen das nicht, wenn wir konsequent bleiben wollen, sondern wir müssen zugeben, daß seine Auffassungsweise weder gegen die Vernunft noch gegen die bekannten mechanischen Gesetze verstößt. Wir können den Kasten, wenn er auch gegen den zuerst betrachteten „Galileischen Raum“ beschleunigt ist, dennoch als ruhend ansehen. Wir haben also guten Grund, das Relativitätsprinzip auszudehnen auf relativ zueinander beschleunigte Bezugskörper und haben so ein kräftiges Argument für ein verallgemeinertes Relativitätspostulat gewonnen.<<

Bei diesem Gedankenexperiment EINSTEINs, das durch BILD 1 veranschaulicht wird (Bild 1 selbst stammt nicht von Einstein), wird das Schwerefeld nicht als ein statisches sondern als ein dynamisches Phänomen betrachtet.



Berücksichtigung von Rotationen

Das Gedankenexperiment enthält jedoch ein wesentliches Problem:
Da eine konstante Hubkraft vorausgesetzt ist, beginnt (mit Einsteins eigenen Worten) der Kasten samt dem Beobachter in gleichförmig beschleunigtem Fluge nach „oben“ zu fliegen. Seine Geschwindigkeit wird im Laufe der Zeit ins Phantastische zunehmen.

Eine Geschwindigkeit oberhalb der Lichtgeschwindigkeit ist aber laut Lehrbuchaussagen unmöglich. Außerdem widerspricht sie der speziellen Relativitätstheorie, die von EINSTEIN selbst stammt. Das Gedankenexperiment führt sich also scheinbar selbst ad absurdum.

Ganz anders wird jedoch die Interpretation, wenn man berücksichtigt, daß praktisch alles im Kosmos rotiert. Bei Rotationen können nämlich ständig gleichbleibende Beschleunigungen und damit Beschleunigungskräfte aufrecht erhalten werden, ohne daß irgend eine Größe phantastische Werte erreicht oder überschreitet. Dies ist jedem Physiker durch die Zentrifugalbeschleunigung und die Zentrifugalkraft geläufig.

Wie läßt sich diese Analogie auf das Gedankenexperiment EINSTEINs übertragen?
Das 1. Axiom NEWTONs vernachlässigt die Rotation der Himmelskörper, wie an anderer Stelle (FRIEBE 1998)bereits gezeigt wurde. Dort wurde auch begründet, warum dieses Axiom folgender Neufassung bedarf:

Jeder Körper ohne Drehimpuls beharrt in seinem Zustande der Ruhe oder der gleichförmigen geradlinigen Bewegung, wenn er nicht durch einwirkende Kräfte gezwungen wird, seinen Zustand zu ändern.

Durch den Zusatz ohne Drehimpuls“ wird eine mehr als 300 Jahre alte, dogmatische Einschränkung aufgehoben und der Weg frei, das Bewegungsverhalten von Körpern mit Drehimpuls zutreffend zu beschreiben. Es folgt nämlich, daß sich bewegte Körper mit Drehimpuls“ auf krummlinigen Bahnen, vorzugsweise Kreisen, bewegen. Dabei ist die Bahnkrümmung eine Funktion des Verhältnisses Impuls / Drehimpuls, die Orientierung der krummlinigen Bahn eine Funktion der vektoriellen Richtung des Drehimpulses.

Das klassische Gesetz für Zentrifugalkräfte und Zentrifugalbeschleunigungen bedarf in diesem Zusammenhang einer Abänderung. Die vom Verhältnis Impuls / Drehimpuls bestimmte kreisförmige Bahn stellt eine Grenzkurve dar. Bei Vergrößerung des Verhältnisses wird der bewegte Körper - von der Grenzkurve ausgehend - nach außen zu einer Kreisbahn mit größerem Radius wegfliegen, bei Verkleinerung dagegen wird er nach innen zu einer Kreisbahn mit kleinerem Radius streben. Ein Himmelskörper, bei dem das Verhältnis Impuls / Drehimpuls über sehr lange Zeit konstant bleibt, bewegt sich daher auf einer fest vorgegebenen, vorzugsweise kreisförmigen Bahn. Die krummlinige Bewegungsbahn der Himmelskörper ergibt sich also ganz von selbst aufgrund ihrer Eigenrotation, die sowohl von NEWTON als auch von EINSTEIN vernachlässigt wurde.

Geht man beim Gedankenexperiment Einsteins statt von einer linearen Beschleunigung nun von einer kreisförmigen Beschleunigung aus, wie sie auf der Erdoberfläche wegen der Erdrotation ohnehin gegeben ist, wobei diese Beschleunigung im klassischen Sinne eine senkrecht von der Erdoberfläche weggerichtete Zentrifugalbeschleunigung ist (BILD 2), so ergibt sich folgendes:


BILD 2: Klassische Auffassung der Zentrifugalbeschleunigung



Aufgrund der vorstehenden Überlegungen bezüglich einer Grenzkurve gibt es einen Bereich, bei dem ein Streben nach innen vorliegt. Man könnte von einer negativen Zentrifugalbeschleunigung sprechen. Und diese empfinden wir als Schwerebeschleunigung (Schwerkraft).

Vorstehende Gedanken sollen noch etwas deutlicher gemacht werden: Die klassische Aussage der Zentrifugalbeschleunigung senkrecht zur Erdoberfläche bezieht sich ausschließlich auf den mitdrehenden Beobachter. Losgelöst hiervon betrachtet liegt ein Bestreben vor, die Bewegung eines Massekörpers aufgrund seiner Massenträgheit in einer tangential verlaufenden, geradlinigen Bahn verharren zu lassen. Nach der neuen Interpretation liegt demgegenüber ein Bestreben vor, die Bewegung eines Massekörpers in der gekrümmten Grenzkurve verharren zu lassen. Würde sich ein Massekörper von der Erdoberfläche lösen, so würde seine Bewegungsbahn längs der gekrümmten Grenzkurve verlaufen. Hierbei muß allerdings vorausgesetzt werden, daß kein Hindernis dem entgegensteht, beispielsweise die weniger stark gekrümmte Erdoberfläche. In diesem Fall entsteht ein Zwangszustand, den wir als negative Zentrifugalbeschleunigung und damit - wie gesagt - als Schwerebeschleunigung (Schwerkraft) empfinden. Die Annahme einer Massen-Anziehungskraft (Fernkraft) ist nicht mehr erforderlich. Ebenso kann die Annahme eines absoluten Raumes, eines kosmischen Mediums oder eines gekrümmten Raumes entfallen.

Es könnte jetzt der Einwand erhoben werden, daß die von NEWTON postulierte Massen-Anziehungskraft durch zahlreiche Experimente bestätigt worden sei. Diese Aussage bedarf einer Klarstellung.

Viele Wissenschaftler glauben, die von den Experimentalphysikern vorgelegten Meßergebnisse seien unverrückbare Tatsachen. Dies ist nicht der Fall. Denn fast alle modernen Meßverfahren sind theoriegeleitete Meßverfahren, die zusätzlich einer mathematisch-rechnerischen Auswertung bedürfen. Das heißt: Es besteht ein echtes Wechselspiel zwischen Theorie und Experiment derart, daß ein und dasselbe Experiment zwei oder mehr als zwei Interpretationen zuläßt, je nachdem, von welcher Hintergrundüberzeugung (Paradigma) man ausgeht. Dabei können sich diese Interpretationen ganz wesentlich voneinander unterscheiden. Dieser Sachverhalt ist besonders klar dargelegt in der Arbeit KUHN, W. (1983): „Das Wechselspiel von Theorie und Experiment im physikalischen Erkenntnisprozeß“. Das aufmerksame Studium dieser Arbeit wird empfohlen.



Der Glaube an die Weltmaschine

In gleicher Richtung zielen auch die Ausführungen von TETENS (1984). „Der Glaube an die Weltmaschine. - Zur Aktualität der Kritik Hugo Dinglers am physikalischen Weltbild“. Hierin wird u. a. ausgesagt (Zitate von Seite 95/96):

>>Nun gehen Störungen gerade von solchen natürlichen Bedingungen und Vorgängen aus, die wir noch nicht „in unsere Apparate eingefangen und isoliert“ (Dingler) haben. Physiker suchen in einem solchen Fall nach einem Wissen darüber, wie man Störungen ausschalten und beseitigen kann. So haben etwa farbige Ränder an Linsen, die die Beobachtungen mit optischen Geräten beeinträchtigen, den Anstoß gegeben zu Fragestellungen, die auf wichtige theoretische „Gesetze“ der Optik führten, oder wurden die Hauptsätze der Thermodynamik aufgestellt im Zusammenhang mit Bemühungen, Prozesse zu koppeln und den Wirkungsgrad dabei zu optimieren. Jedenfalls bedienen sich die Physiker bei dem Versuch, Störungsbeseitigungswissen zu entwickeln, wieder der experimentellen Methode, so daß zugleich mit Gesetzen für solche Störungen auch Apparate oder verbesserte Versionen der ursprünglichen Apparate zur Hand sind, die diese Gesetze funktional erfüllen. . . . . . . . . Da wir Natur nicht einfach im Labor imitieren, tragen die sogenannten Naturgesetze ihren Namen ganz zu Unrecht. Würden wir sie, was methologisch viel gerechtfertigter wäre, Apparategesetze nennen, würde bei uns viel eher das Bewußtsein dafür wachgehalten, daß unsere „natur“wissenschaftlichen Laborresultate in einem tendenziellen Widerstreit zur Natur „draußen“ stehen.<<

Unter Berücksichtigung dieser Gedanken ergibt sich, daß alle sogenannten experimentellen Bestätigungen von NEWTONs Gravitationsgesetz - wegen unzulässiger Extrapolationen der Meßwerte - unschlüssig sind.
(siehe auch: FAHR / KNAPP 1989)



Literatur

DINGLER, H. (1987): „Aufsätze zur Methodik“, herausgegeben von Ulrich Weiß, Felix Meiner Verlag, Hamburg

DUHEM, P. (1908): „Ziel und Struktur der physikalischen Theorie“, Leipzig 1908 und Hamburg 1976

EINSTEIN, A. (1917): „Über die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie (Gemeinverständlich)“, Verlag Friedr. Vieweg, Braunschweig

FAHR, H.-J. / KNAPP, W. (1989): „Newtons Gravitationsgesetz . . . nur die halbe Wahrheit?“ aus Zeitschr. „bild der wissenschaft“, H. 3/89, S. 49 - 58

FRIEBE, E. (1998): „Das 1. Axiom NEWTONs - Ursache der weltweiten Krise der Physik“, DPG- Didaktik Frühjahrstagung, Regensburg.

HERMAN, R. (1991): „FUSION - The search for endless energy“, Cambridge University Press, Cambridge, New York, Port Chester, Melbourne, Sydney

KUHN, W. (1983): „Das Wechselspiel von Theorie und Experiment im physikalischen Erkenntnisprozeß“, DPG-Didaktik-Tagungsband 1983, S. 416 - 438

TETENS, H. (1984): „Der Glaube an die Weltmaschine - Zur Aktualität der Kritik Hugo Dinglers am physikalischen Weltbild“, aus: Janich, P. (Hrsg.): „Methodische Philosophie - Beiträge zum Begründungsproblem der exakten Wissenschaften in Auseinandersetzung mit Hugo Dingler“, Bibliographisches Institut Mannheim, Wien, Zürich

THÜRING, B. (1967): „Die Gravitation und die philosophischen Grundlagen der Physik“, Verlag Duncker & Humblot, Berlin

WALKER, J. (1990): „Ein Ball mit Drall“, Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main